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Montag, 26. Mai 2014

ich traue mir nichts zu .... vom Über-leben zum Leben

                                                         Foto Irmgard Czerny

"ich traue mir nichts zu"....
das schreibt ausgerechnet Irmgard, die nach Außen hin vor Vitalität sprüht. Nicht nur kulturell interessiert und vielseitig unterwegs, sie engagiert sich rundumadum sozial und hat auch mich vor Jahren "mitgerissen" - als Lesepatin zb an eine Volksschule mit Migrantenkindern zu gehen.
Irmgard hat einen prachtvollen Garten - siehe viele ihrer Fotos - der viel Arbeit erfordert.
Sie schreibt und gibt immer wieder Büchlein im Selbstverlag heraus, "garniert" mit Zeichnungen einer 94jährigen! Freundin .... wie kann Irmgard schreiben "ich traue mir nichts zu..."
Tief drinnen sitzt diese Erschöpfung nach zwei bedrohlichen Krebserkrankungen ... und was für eine Disziplin und welche Lebens-Liebe braucht es, um DENNOCH so LEBENDIG weiter zu machen.
Noch etwas muss ich hier einmal dazufügen: Irmgard ist - im Gegensatz zu mir und obwohl wir in dieselbe Klosterschule gegangen sind - nicht religiös. Im Gegensatz zu mir hat sie in diesen großen Krisen eigentlich NICHTS "zum Anhalten" - darüber denke ich oft lange nach......

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"Ich traue mir nichts zu und ich traue mich nicht. Man möchte glauben, daß  dieses Gefühl – oder ist es eine Tatsache? –  sich nur auf jene Zeit beschränkt hat, in der Operationen, Bestrahlungen, Nachuntersuchungen, etc. auf der Tagesordnung standen. Nach jeder neuen Operation, jedem weiteren Spitalsaufenthalt hat vor allem die körperliche Spannkraft nachgelassen. Das Gefühl, im Krankenhaus  in jeder Situation aufgefangen zu sein, nur die Klingel betätigen zu müssen, eine Bett-Nachbarin zu haben, war zwar in den Ausnahmesituationen  beruhigend, aber das ‚Wiederzukräftenkommen‘, die Selbständigkeit wieder zu erlangen, das Alleinsein zu genießen und dabei auch sicher zu sein, hatte Priorität.  Also, nicht mit dem Aufzug von der Ambulanz zurück auf die Station, jeden Tag ein paar Minuten länger den Gang auf und ab gehen und ein wenig frische Luft im Freien schnappen.
Doch: wieder in ‚Freiheit‘ war erst die Kraftlosigkeit und Mutlosigkeit deutlich zu spüren.  Der erste Gang ‚danach‘ zum Supermarkt z.B. gelang nur mit Hilfe einer Schulfreundin, die mir nicht nur ihren stützenden Arm bot, sondern auch den Einkauf trug, denn schwer Tragen war eine Zeitlang verboten, um den Heilungsprozess der Narben nicht zu gefährden; eine der vielen Einschränkungen, die sich erst nach und nach wieder aufgelöst hatten.
Dennoch, eine ‚Restunsicherheit‘ ist geblieben und geht vermutlich nahtlos in die zunehmende Unsicherheit des nahenden Alters über. Noch ist es nicht so weit, und wir wollen vorläufig noch von Vorsicht sprechen, mit der man an verschiedene Situationen herangeht und einmal mehr als früher überlegt, ob man das eine oder andere ‚wagen‘ soll oder nicht, bzw., ob es überhaupt notwendig oder sinnvoll ist.
Ja, etwas, was mir früher fremd war, schleicht sich ein –  Zögern.  Und nur das machen, was unbedingt notwendig ist, was die tägliche ‚Instandhaltung von Körper und Lebensraum‘  erfordert und….das, was Freude macht. Doch auch dazu muss ich mich nach wie vor manchmal überwinden. Und um selbstgemachtem Stress vorzubeugen und kleine Erfolgserlebnisse zu haben,  versuche ich, den Tagesablauf so zu gestalten, dass er nur so viel, bzw. wenig an Terminen beinhaltet, wie stressfrei zu bewältigen ist und Ruhephasen zulässt. Termine, die sich notfalls verschieben oder gar stornieren lassen – Entschleunigung eben."


Irmgard Czerny