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Samstag, 10. Mai 2014

sprachlos sein - vom Überleben zum Leben

"Februar 2011" sehe ich an dem gespeicherten Foto. Irmgard scheint hier ganz lässig zu sitzen, flottes outfit, bunte Brille, knallrote Big-Bag - aber ich spüre die Beklemmung wie damals, als ich sie begleitet habe: in den "Untergrund des AKH", in den 3.Stock unter der Erde, wo die Bestrahlungen stattfanden. Zuvor saßen wir im oberen Bereich, sie wartete auf ein Gespräch mit der Krebsärztin und der Psychologin. Ich saß mit Irmgard an einem kleinen Tischchen - verstreut im Warteraum andere Krebspatienten: Irmgard selbst hatte kaum mehr "Stimme" zum Reden. Und was redet "man" dann? "Red nur" deutete sie immer wieder an - aber mir fiel nichts ein, WOVON reden, wenn die eigene "Normalität" so lächerlich ist. Dieses Foto habe ich aus meinem Archiv "gekramt", als Irmgard mir ihren neuen Text schickte:

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"Sprachlos sein. In doppelter Hinsicht. Zum einen hat’s mir die Sprach‘ verschlagen ob der immer wieder neuen ‚positiven Befunde‘, und dann nach ein paar Wochen Bestrahlung war sie tatsächlich auch in physischer Hinsicht weg. Dazu kam auch noch die Sprachlosigkeit meiner Freundinnen, die angesichts der Tragweite meiner Krankheit nicht so recht wussten, wie und was sie mit mir sprechen sollten. Nicht einmal sagte ich zu ihnen: ihr könnt ganz normal mit mir reden, was sie dann erleichtert annahmen. Aber wie gebe ich, wenn ich keine Stimme habe, einem Arzt verbal Kontra, der mir in rüdem Ton meine Abwesenheit während seiner Visite vorwirft, quasi, als würde ich mich kaffeetrinkend in einem Nachbarzimmer herumtreiben? Wäre er an mir interessiert und über mich informiert gewesen – schließlich war er ja derjenige, der mir die Magensonde verpasste - hätte er wissen müssen, dass ich zu dieser Zeit im dritten Stock unter der Erde eine weitere Qual der Bestrahlung über mich ergehen lasse.

Und wie stelle ich es an, wenn ich zu Hause nicht mehr bleiben kann, weil ich keine normale Nahrung mehr aufnehmen kann und selbständig – in einem Single-Haushalt lebend – nicht die Rettung rufen kann, um ins Krankenhaus gefahren zu werden? Ich schreibe eine SMS an eine befreundete Familie im ersten Stock des Hauses, in dem ich wohne, und bitte sie, zu mir in den fünften Stock zu kommen, um für mich das Spital und die Rettung anzurufen. Was aber, wenn niemand zu Hause gewesen wäre? In meinem Stock sind wir nur zu zweit, und mein sonst sehr gefälliger Nachbar war gerade auf Dienstreise. Eine Situation, die trotz allem einen klaren Kopf verlangt, aber auch eine zusätzliche Belastung darstellt. Und es gab einige solcher Situationen."