noch immer in einem Wiener Stiegenhaus:
altes "Tür-Tableau"
Foto Irmgard Czerny
es gibt Tage, die muss man sich nicht in den Kalender eintragen.
Sie sind tief gespeichert in unserer Erinnerung. Bei mir ist es "der Muttertag" - er fällt zwar jedes Jahr auf einen anderen Tag, aber es war an einem Muttertag, als mein Mann starb - vier Jahre nach
Beginn seiner schweren Krebserkrankung. Unsere Kinder waren damals 5 und 9 Jahre alt. Dieser Tag bleibt für uns alle "gegenwärtig" - jeder von uns weiß, was er an diesem Tag gemacht hat.
Ich wurde schon um 6.00 ins Spital gerufen, Kathi blieb in der Obhut meiner ganz lieben Nachbarin und den 5jährigen Jakob nahm die Oma mit zu Onkel und Tante. Alle feierten "Muttertag"
Keiner von uns wußte damals, dass wir Stunden später nur mehr zu Dritt sein würden.
Irmgard hat eine solche "tiefe" Erinnerung an den Tod ihrer Eltern -
sie selbst damals ein junges Mädchen
- 35 –
Würde heuer der 13.Oktober nicht auf
einen Montag fallen, wären vermutlich meine Erinnerungen an diesen Tag
vor 45 Jahren nicht so präsent.
Der Tag, an dem meine Mutter mit nur
53 Jahren in meinen Armen starb – in der Wohnung, in der ich heute noch lebe.
Es war Montag, der 13.Oktober 1969.
Und auch dieses ‚Tableau‘, das ich
erst vor kurzem fotografiert habe, das längst seine Aufgabe erfüllt hat und nur
mehr auf das Entstehungsjahr des Hauses, 1937, hinweist, weckt manchmal, wenn
ich vorbeigehe, Erinnerungen an den Tag, an dem es nur für mich in Betrieb zu
sein schien. Unser heutiger Lift war damals noch ein Aufzug, der viele
Jahrzehnte brav funktionierte, der aber nur aufwärts fuhr und man
hinunterlaufen musste, um die Person heraufzuholen, der man nicht zumuten
wollte, sechs Stock zu steigen. Und an diesem schwärzesten Tag in meinem Leben
kam ich auf acht Mal hinunterlaufen, um Personen heraufzuholen, von denen ich
hoffte, sie könnten mir helfen und noch das Schlimmste abwenden. Aber das
Schicksal blieb hart und nahm mir ein halbes Jahr nach dem Tod meines Vaters,
auch noch die Mutter, die wohl an gebrochenem Herzen über den Verlust ihres
Mannes, mit dem sie eine Woche vor ihrem eigenen Tod den 30.Hochzeitstag hätte
feiern wollen, starb.
Das gebrochene Herz meiner Mutter
bekam auch noch zusätzliche Sprünge, verursacht von ihrem eigenen Bruder, der –
Jurist – ein von Tanten für beide Geschwister vorgesehenes Haus in der
Würzburggasse, meine Mutter um ihren Anteil, die Hälfte des Hauses, prellte;
ein Verhalten, das mitverantwortlich war, meiner Mutter das Herz zu brechen.
Ich war zum Zeitpunkt dieses Schicksalsschlages total unselbständig, zum Glück
aber bereits berufstätig und konnte mich so recht und schlecht über Wasser
halten, doch die erhoffte moralische und tatkräftige Hilfe von dem bisschen
Verwandtschaft, das es gab, blieb aus. Und so traf ich eine Entscheidung, die
ich nie bereute und schloss mit ihnen ab.
Auch, wenn es hart klingt, so sage
ich heute: meine Eltern mussten sterben, damit ich selbständig werde. Diese
nicht immer leicht zu erarbeitende Selbständigkeit kam mir beim zweiten harten
Schicksalsschlag zugute, als ich zweimal die Diagnose Zungengrundkarzinom, die
nachfolgenden Operationen und anschließenden Bestrahlungen verkraften musste.
Auch, wenn es liebe Freundinnen gab, die im Akutfall an meiner Seite waren, so
blieb und bleibt noch Vieles, mit dem ich alleine fertig werden muss.