28.Juli 1914 Kriegserklärung Österreich-Ungarn
an Serbien
Es war, als hätten die Menschen auf den Krieg gewartet.
Kriegsbegeisterung - nicht nur der Generäle und der Industrie
Kriegsbegeistert: die kleinen Leute - bald schon werden sie Kanonenfutter sein, zu Millionen
Kriegsbegeistert und das wiegt viel schwerer: die Dichter, Schriftsteller und Intelektuellen
es schien nur EINE MAHNENDE STIMME zu geben:
Karl Kraus mit seiner Zeitschrift die Fackel
„Die Fackel“ war die einzige deutschsprachige Zeitschrift, die
von Anfang bis Ende des Krieges gegen diesen anschrieb. Eine spannende Zusammenfassung von
Armin Sattler, ORF.at http://orf.at/stories/2229622/2219965/
Wider die
„kriegsbesoffene Versfußtruppe“
Als Österreich-Ungarn gemeinsam mit dem deutschen
Kaiserreich im Sommer 1914 den Ersten Weltkrieg lostrat, sahen viele
auch eine Lizenz zum verbalen Losschlagen. Hunderttausende
verfertigten patriotische Gedichte, unterzeichneten Erklärungen und
verfassten Leserbriefe. Wenige nur stimmten nicht in das
Kriegsgeschrei ein, einer nur erhob seine Stimme dagegen: Karl Kraus.
Auch Dichter und Intellektuelle erlagen dem kollektiven Taumel und
berauschten sich an der „großen Sache“.
Hugo von Hofmannsthal
bekundete eine „Freude (...), wie ich sie nie erlebt habe, ja nie
für möglich gehalten hätte“,
Stefan Zweig schrieb dem Krieg
„etwas Großartiges, Hinreißendes“ zu,
Rainer Maria Rilke spürte
ein neues Gemeinschaftsgefühl: „Wir glühen in eins zusammen“
und frohlockte, „endlich ein Gott“. Und der Psychoanalytiker
Sigmund Freud sagte: „Meine ganze Libido gehört
Österreich-Ungarn.“
„In dieser
großen Zeit“
„Die, welche sterben müssen oder ihren Besitz opfern, haben das
Leben und sind reich“, bemerkte
Robert Musil und gliederte sich in
die „Versfußtruppe einer kriegsbesoffenen deutschen Literatur“
ebenso ein wie
Peter Rosegger, Alfred Kerr, Felix Salten, Anton
Wildgans und Egon Friedell, aber auch Gerhart Hauptmann, Thomas Mann
und Max Weber. Die meisten glaubten an einen schnellen Sieg. Kraus,
der die Kriegsdauer mit zwei Jahren selbst unterschätzte, galt als
Pessimist.
In der im Dezember 1914 in der „Fackel“ abgedruckten Rede „In
dieser großen Zeit“ verlieh Kraus seiner Abscheu vor den verbalen
Säbelrasslern Ausdruck. „Die jetzt nichts zu sagen haben, weil die
Tat das Wort hat, sprechen weiter. Wer etwas zu sagen hat, trete vor
und schweige!“ Die nächste „Fackel“ begann mit dem Satz: „Ich
bin jetzt nur ein einfacher Zeitungsleser“ und griff erneut das
„Sprachgesindel, dem der Anblick unnennbaren Grauens nicht die
Zunge gelähmt, sondern flott gemacht hat“, an.
Das Versagen
der Vorstellungskraft
Ohne dessen Zutun wäre „dieser Krieg der berauschten
Phantasiearmut nicht entbrannt“. Wie später Günther Anders mit
seiner Philosophie im Zeitalter der Atombombe erkannte Kraus das
Versagen der Vorstellungskraft als den eigentlichen Grund des
Krieges: „Es ist die Zeit, in der eben das geschieht, was man sich
nicht vorstellen konnte, und in der geschehen muss, was man sich
nicht mehr vorstellen kann, und könnte man es, es geschähe nicht.“
Die Ursache für die Vorstellungsunfähigkeit fand Kraus nicht
einfach in einer kriegsverherrlichenden Propaganda, sondern in der
„
Verlotterung der Sprache“ selbst. Diese begriff er weder als
Abstraktum noch als System, vielmehr als das wirkliche, also
historische Sprechen der Zeit.
An Art und Ausmaß, wie Menschen die
Sprache zurichten, las er ab, wie sie zugerichtet sind und einander
zurichten. Stilkritik verwandelte sich so in Ideologiekritik: „Dass
einer ein Mörder ist, muss nichts gegen seinen Stil beweisen. Aber
der Stil kann beweisen, dass er ein Mörder ist.“
Öffentliches Sprechen - und dabei vor allem jenes der zu „Phrase
und Vorrat erstarrten“ Presse - diente Kraus als Beweis für die
Deformation der Welt. Als die Katastrophe schließlich hereinbrach,
bestätigte sich ihm nur, was im Sprachverfall längst offenbar war:
„(Der Reporter) hat durch jahrzehntelange Übung die Menschheit auf
eben jenen Stand der Phantasienot gebracht, der ihr einen
Vernichtungskrieg gegen sich selbst ermöglicht.“ ...
Absatzgebiete
und Schlachtfelder
Nicht allein Sprachverfall und Phrase wurden als Schuldige
identifiziert, sondern auch Politik, Militär und Kapital. Die
Ereignisse von 1914 bis 1918 entlarvte Kraus als einen wirtschaftlich
motivierten Expansionskrieg, bei dem es darum ging,
„Absatzgebiete
in Schlachtfelder zu verwandeln, damit aus diesen wieder
Absatzgebiete werden“, und urteilte: „Dass sich eine Menschheit,
die ihre Phantasie auf die Erfindung von Gasbomben ausgegeben hat,
deren Wirksamkeit am 1. August 1914 nicht vorstellen konnte, macht
sie erbarmungswürdig. Dass sie aber auch von der magischen
Anziehungskraft des Blutes auf das Geld keine Vorstellung hatte,
macht sie verächtlich.“
„Will man wissen, wie der neue Krieg aussieht, so genügt der
Blick auf das leere Schlachtfeld des anonymen Todes, auf den
Kampfplatz ohne Kampf, wo der Zufall zwischen Mensch und Maschine
entscheidet, und dann zurück in einen warenlosen Kommerz, das noch
nie das Ding gesehen hat, von dem er lebt - eins dem anderen ein
Gleichnis (...) Die Verbindung jener, die die Menschheit wie eine
Ware schieben, mit jenen, die die Ware schieben“, so Kraus.
copyright Armin Sattler, ORF.at http://orf.at/stories/2229622/2219965/
WAS HAT SICH SEITHER GEÄNDERT?