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Donnerstag, 25. Juni 2015

SDS Salvatorianer 14 ...in aller Armseligkeit

schaut er nicht "arm-selig" aus, 
der zarte Halm?
...fotografiert von meiner langjährigen journalistischen ORF Kollegin Elisabeth Arzberger.
Sie schickt mir ihre Gedanken zum Thema Armut und versucht auch gleich dem Wörtchen
"armselig'"  auf die Spur zu kommen
Nein, mit Seligkeit habe das nix zu tun meint sie


”armselig”… was für eine eigenartige Zusammenstellung! 

von mhd. armsal n. ‘Armut, Elend’. verarmen Vb. ‘arm werden’, mhd. verarmen ‘in Armut, in Not geraten’, Präfixbildung zu ahd. armēn (9. Jh.), mhd. armen ‘arm sein, werden’
und weil das ja auch immer wieder im ”zusammenhang" steht, schau ich gleich noch ”feindselig” nach: feindseligAdj. ‘feindlich gesinnt, gehässig’ (15. Jh.)
Also: armselig sein heißt einfach arm sein, da darf man kein "selig" hinein schwindeln
Denn der Herkunft nach gehört der Bestandteil -selig zu -sal in Mühsal, Trübsal oder Labsal.
 
und doch????
Der armselige Grashalm,
wenn ich ihn mir so ansehe ..... 
steckt in dem nicht doch etwas von 
SELIGKEIT  


Gerade Elisabeths Foto zeigt seine bezaubernde, zarte aber auch perfekte und unbeugsame Struktur -
der ist auf seine Art vollkommen, der ist nicht so schnell umzubringen -
der "armselige Grashalm" trägt in sich und mit sich alles, was ihn ausmacht.
Nennen wir das im Religiösen nicht  "die Fülle des Lebens"?
so Etwas Armseliges!

Pater Jordan verwendet für sich selbst auch diesen Begriff "Armseligkeit".

'Ich habe keinen anderen Titel, um erhört zu werden, als meine tiefe Armseligkeit'

Daran bin ich beim Lesen in seinem Geistlichen Tagebuch hängen geblieben
Zunächst kam mir "Armseligkeit" enfach "altvatrisch" vor, Wort des 19.Jahhrunderts,
dann habe ich mich auch geärgert: "Allweil diese "Armseligkeit" -
müssen wir uns dauernd an die Brust schlagen und mea culpa, mea culpa  rufen."
 Aber - wenn ich jetzt darüber nachdenke -  meint Armseligkeit nicht "mea culpa"

'Ich habe keinen anderen Titel, 
um erhört zu werden, 
als meine tiefe Armseligkeit' 

ich sehe mir den "armseligen" Grashalm an und glaube heute zu wissen, dass in dieser
ARMSELIGKEIT die Fülle des Lebens steckt - so ich es schaffe, so weit zu kommen.
So ist mir heute Pater Jordans Satz wie ein Wegweiser
und das Arme behält in aller Trotzigkeit eine Spur der Seligkeit

Letztlich ist das auch in Elisabeths Beitrag zu spüren -
Sie, die Journalistin, die viel gereist ist - hat, so scheint mir,
doch auch in der Armut eine Spur von Seligkeit aufgespürt ...



liebe Ilse,

als ich Deine bitte, über armut zu schreiben, las, war da sofort ein bild vor meinen augen: 
ich sitze mit meinem kleinen, kompakten 4-kg-rucksack am wegrand irgendwo in Zanskar. eine alte frau kommt vorbei, bleibt stehen, bewundert den rucksack, schüttelt lachend den kopf & ich weiß: so viel, wie ich mit mir rumtrage, kommt ihr eigenartig vor, so viel hat sie noch nie besessen. 
ich weiß aber auch, dass diese frau nicht arm ist, denn sie hat alles, was sie braucht: ein haus, eine schale zum trinken & essen, & davon immer genug, nie zu viel. 
das habe ich vor mehr als 30 jahren in den dörfern der himalaya-region erlebt. auch, dass es wichtig war, eine schale im rucksack zu haben, denn kam man in die nähe eines hauses, wurde man eingeladen zu essen & zu trinken (zb wunderbar salzig-gebutterten tee mit tsampa, geröstetem gerstenmehl - einem sättigenden, suppen-ähnlichen getränk). ohne die mitgebrachte schale hätte man die menschen in verlegenheit gebracht, denn "gästegeschirr" hatten sie nicht & die schale eines nicht anwesenden familienmitgliedes konnte unter keinen umständen angeboten werden, das wäre völlig ungehörig gewesen. im zweifelsfall wäre sie ja auch gar nicht verfügbar, da mit der besitzerin, dem besitzer unterwegs...
nicht viel, aber völlig ausreichend zu haben - das war einer meiner prägenden eindrücke dieser reise in eine  gegend, die vielfach als "arm" beschrieben wurde & es doch nicht war, sondern mit "den augen von reichen" beurteilt wurde.
armut hatte ich zuvor in indien gesehen. armut als: nicht das zu haben, was zum leben nötig ist. eine armut, der man, so hatte man mir gesagt, nicht in die augen sehen darf, denn dann kann man nicht mehr einfach wegschauen, muss etwas geben, und es bleibt nicht bei einem mal. die art des wegschauens wurde mir beigebracht und eine ablehnende handbewegung, sobald sich eine bittende hand näherte. gesten, die ich versuchte, nicht anzuwenden. 

neulich:
mir gegenüber im zug: eine sehr junge mutter, ein schlafendes baby im kinderwagen, ein etwa 3-jähriges mädchen, dem die mutter vorliest, dem die mutter immer wieder anderes kleines spielzeug aus einer tasche zaubert, dem die mutter zeigt, was in der landschaft vor dem zugfenster zu sehen ist, dem die mutter unendlich viele fragen beantwortet. die drei steigen an der selben station aus. vor dem bahnhof geht die frau auf die müllcontainer zu und beginnt, sie nach brauchbarem zu durchsuchen...

es sind solche beobachtungen, über die ich schreiben kann. 
das "allgemeine elend", die altersarmut, die armut der kinder, der obdachlosen, der flüchtlinge... machen mich sprachlos. was würden worte auch helfen.
es ist so viel hilflosigkeit im spiel bei diesem thema. und ich merke bei dem wort, dass die eigene hilflosigkeit ein hindernis ist, zu helfen. "

ein PS hängt Elisabeth noch an:
das wort "habseligkeiten". eins von den wörtern, über die ich noch nie wirklich nachgedacht hab, als ich es mir aber genauer anschau' find' ich es schön. das sind, denke ich, wenige, aber besondere dinge. denke nicht an materielle werte, sondern liebgewordenes. 
im Duden aber steht: "[dürftiger, kümmerlicher] Besitz, der aus meist wenigen [wertlosen] Dingen besteht". ich denk an die Obdachlosen, die ihre "habseligkeiten" mit sich führen und frag' mich, welche sprach-beamten das geschrieben haben...
"Habseligkeit" Das Substantiv, das heute meist im Plural gebraucht wird, wurde 2004 zum »schönsten deutschen Wort« gewählt.

HABSELIGKEIT
was sind meine Habseligkeiten 
was ist drinnen in dem Binckerl, das ich unter allen Umständen mit mir trage
was brauche ich zu meiner Arm-Seligkeit? 



wie sagt es P.Jordan?

'Ich habe keinen anderen Titel, 
um erhört zu werden, 
als meine tiefe Armseligkeit'


alle Fotos 
Elisabeth Arzberger