Gebetszettelchen
in der Klagemauer in Jerusalem
Zehntausende Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Pakistan sehen wir in diesen Tagen nach Österreich strömen ...Lange, lange war die "Flüchtlingsproblematik" etwas, was uns persönlich nur über Medien erreicht hat. Von Lampedusa und den Tragödien der vielen Toten im Mittelmeer haben wir gehört - Griechenland, überlaufen von all denen, die aus der Türkei auch auf gefährlichem Weg in der Ägäis nach Europa flüchten. Die Millionen Flüchtlinge in Syrien selbst, im Libanon, haben wir nicht wirklich wahr genommen. aber nun SEHEN wir die Menschen, hier, bei uns, hautnah: sehen die Gesichter der Kinder, der Frauen, der Männer...
wir sehen die Alten, die es kaum mehr schaffen, Menschen, die in Rollstühlen geschoben werden..und Kinder, Kinder, Kinder - Neugeborene - auf der Flucht geboren.
Der kleine Grenzort Nickelsdorf tagelang voll mit 10.000 Flüchtlingen und mehr, die versorgt und weiter gebracht werden - nach Wien, nach Salzburg, nach Oberösterreich. Dramatische Situationen gibt es immer wieder - HILFE gelingt nicht zuletzt nur mit der HILFE durch tausende freiwillige Helfer. In Wien am Hauptbahnhof, am Westbahnhof, in vielen Notquartieren der Stadt aber auch in anderen Bundesländern, vor allem in Salzburg kümmern sich rund um die Uhr Menschen,die sich spontan zusammen gefunden haben ...
Vor allem die Tragödie um die am 27.August in einem Kühllaster aufgefundenen 71 erstickten Menschen, die Schleppern zum Opfer gefallen sind, hat alle aufgerüttelt.
Kardinal Schönborn ruft Pfarren und Orden auf, "Quartier zu geben". Gerade die Orden leisten ja über Jahrzehnte schon diesen Dienst an den Ärmsten der Armen. Auch Pater Jordans Gesellschaft vom göttlichen Heiland hatte von allem Anfang an das Ziel, in erster Linie für die da zu sein, die von Anderen vergessen sind.
Pater Jordan, der Gründer der Salvatorianer
mit Sr.Maria von den Aposteln, die den weiblichen
Zweig des Ordens gegründet hat - von den Schwestern soll heute die Rede sein
Noch ehe uns das Flüchtlingsdrama direkt erreicht hat, hatte ich Anfang August
Schwester Brigitte Thalhammer, die Provinzoberin der Salvatorianerinnen gefragt:
"Welchen Brief würden SIE heute P.Jordan schreiben, wenn sie ihm erzählen wollten,
was momentan an Sorgen und Anliegen und an Erfreulichem und Guten
von der Gemeinschaft zu berichten ist."
Hier Sr. Brigittes Brief vom 21.September 2015 -
Lieber
P. Jordan,
wie
lange ich dir schon schreiben will.
Zunächst wollte ich dir von den
Professjubiläen im August schreiben: von diesem beeindruckendem Zeugnis der
Mitschwestern, die seit 40, 50 – ja 60 Jahren als Salvatorianerinnen leben.
Doch dann ging es gleich
auf eine Pilgerreise ins Heilige Land.
Das war
unglaublich beeindruckend – und ich musste daran denken, wie diese Stätten wohl
zu der Zeit ausgesehen haben, als du dort warst.
Dein Aufenthalt im Orient hat
dich sicher sehr geprägt – gerade auch die Begegnung mit Menschen aus so ganz
anderen Kulturen.
Aber
auch diese Reise ist nun so sehr überlagert durch das, was Europa zur Zeit so
sehr prägt.
Das, was vermeintliche Unkenrufer schon vor langer Zeit angekündigt
haben, tritt ein.
Menschen aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten und aus
wirtschaftlich aussichtslosen Situationen in Afrika kommen nach Europa.
Wir
leben in EINER Welt. Es lässt sich kein Lebensstil aufrecht erhalten, der auf
Kosten der ohnehin Armen gelebt wird. Menschen fliehen nicht nur vor Gewalt,
sie fliehen auch vor Ungerechtigkeit,
vor korrupten und unfähigen Politikern.
Und sie werden in Zukunft fliehen, weil die Umwelt in ihren Ländern zerstört
ist. Wie recht hat Papst Franziskus mit seiner Beschreibung in seiner Enzyklika
„Laudato si“.
Lange
haben wir die Menschen an den Außengrenzen abgehalten. Lange haben die ohnehin
schon viel ärmeren Länder wie Griechenland oder Süditalien die Hauptlast in
Europa getragen (ganz abgesehen davon, dass immer noch gut 90% der Flüchtlinge
in anderen armen Ländern Aufnahme finden).
Jetzt sind wir mit dem Leid
intensiver konfrontiert.
Ja – P. Jordan, ich muss gestehen, ein wenig Angst
habe ich schon, wie das in Zukunft unser Land prägen wird?
Wie die Kulturen und
Religionen mit einander leben lernen,
welche Auswirkung das auf die Stellung
der Frauen haben wird?
Und zugleich merke ich, wie du mir den Rücken stärkst.
Wie du Mut machst: Die Liebe Gottes gilt jedem Menschen ohne Unterschied –
und
wenn ich auf Jesus schaue: es waren gerade die Armen, Schwachen, Verachteten,
die Ausgegrenzten, denen er sich zuwandte.
Zu unserer salvatorianischen Identität
gehört die Universalität:
Nichts und niemanden auszugrenzen. P. Jordan – wie
weitsichtig du bist!!!
Wie aktuell ist dein Herzensanliegen: die befreiende
Lieben Gottes allen Menschen zu verkünden und zu bezeugen. Und da geht es vor
allem zunächst mal um das Zeugnis.
„Was
ihr den geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir
getan“ – das bleibt nun mal der Maßstab Jesu – und somit „unser“ Maßstab.
Wobei
ich merke, wie viele junge Menschen, die mit Kirche nichts am Hut haben, sich
super engagieren (die leben „unseren“ Maßstab)
Foto Viele freiwillige Helfer am Wiener Hauptbahnhof
und wie andere sich auf das
Christentum berufen und meinen, der „Nächste“ wären nur die eigenen Landsleute.
So eine Verdrehung.
Dass Menschen mit so einer Einstellung an die Macht kommen
könnten, das macht mir nun wirklich Sorge.
Und
zugleich höre ich dich, P. Jordan, sagen: „Vertraue – und öffne dein Herz: für
alle!“
Da
sind wir dran.
Gemeinsam mit den Mitbrüdern und den Mitgliedern der
salvatorianischen Laien weisen wir mit „ware mensch“ auf das Unrecht von
Menschenhandel hin.
Da ist schon sehr viel an Bewusstseinsbildung passiert.
Und
ganz konkret werden wir mit anderen Ordensfrauen mit Solwodi Österreich.
Dort,
in einem Schutzhaus, werden Opfer von Menschenhandel betreut –
bzw. wird
Frauen, die aus der Prostitution aussteigen möchten, Möglichkeit dazu geboten.
Ich bin sehr dankbar, was durch das Miteinander Wirklichkeit geworden ist –
und
dass Sr. Patricia so hartnäckig dran geblieben ist.
Einige der Frauen haben nun
schon Arbeit und eine eigene Wohnung.
Und
ich hoffe sehr, dass wir bald mehr als eine Wohnung für Flüchtlinge zur
Verfügung stellen können. Und bald soll ein syrisches Baby im St. Josef Krankenhaus
auf die Welt kommen – unser Sozialwerk kann die Kosten übernehmen .
Hoffentlich hat er oder
sie einen guten Start ins Leben.
Lieber Pater Jordan - Gut
– ich schließe für heute.
Werde mich aber immer wieder mal melden, um dich zu
fragen, was nun dran ist?
Danke
für die Verbundenheit
deine
Schwester Brigitte