TV-Hinweis „Am Schauplatz“ zeigt den Beitrag „Elende Quartiere“ am Donnerstagabend um 21.05 Uhr in ORF2 - mehr dazu in tv.ORF.at.
„Jemand wie ich findet keine Wohnung“
Man findet sie in Zinshäusern, in Hinterhöfen, in Abbruchhäusern und in Kellern ohne Fenster: Absteigen für Menschen, die auf dem normalen Wohnungsmarkt keine Chance haben. Die Redaktion von „Am Schauplatz“ hat sie besucht.In Salzburg, wo die Mieten besonders hoch sind, gibt es seit einiger Zeit eine neue Art „Pension“. Nicht für Urlauber, sondern für Arme. Die Zimmer sind winzig, Klo, Bad und Küche teilt man sich mit den übrigen Bewohnern. „Pension Sandwirt“ steht auf dem Schild, das außen auf dem Haus prangt. Doch wer hier absteigt, ist nicht auf Urlaub in der Mozartstadt.
ORF Wucherpreise für minderwertige Schlafplätze
Hier wohnen die, die sich keine normale Wohnung leisten können. Einer von ihnen ist Andreas M. Der 42-jährige Arbeitslose lebt seit drei Jahren in der Pension. An die Wände seines etwa 15 Quadratmeter großen Zimmers hat er Fotos seiner Kinder gepinnt. „In Salzburg sind die Mieten so hoch“, sagt er. „Keine Chance, dass jemand wie ich eine Wohnung findet.“
„Unter Brücken und in Abrisshäusern“
Die Mieten in der Stadt sind in den vergangenen acht Jahren um 40 Prozent gestiegen. Heinz Schoibl ist Sozialforscher und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema. „In Salzburg gibt es schon seit ein paar Jahren Einrichtungen wie diese. Dort leben hauptsächlich Österreicher. Zuwanderer haben hier nicht einmal die Chance, in einem elenden Quartier unterzukommen. Die leben unter Brücken und in Abrisshäusern.“600 Euro für „den Chef“
Schauplatzwechsel nach Wien-Simmering: In einem heruntergekommen wirkenden Haus in der Mautner-Markhof-Gasse beobachten die Anrainer seit geraumer Zeit seltsame Vorgänge. Lieferwägen fahren vor, karren Dutzende Menschen in das Haus. 50 bis 70 Leute hätten manchmal hier gewohnt, schätzen Nachbarn. „Einmal ist ein Mädchen in Panik herausgestürzt“, erinnert sich eine Anrainerin: „Sie hat gebrüllt, dass sie nicht auf den Strich gehen will. Männer sind ihr nachgelaufen, einer hat sie geschlagen.“ Das Mädchen, so habe sie später erfahren, sei erst 17 Jahre alt gewesen.ORF Selbst Kellerlöcher werden als „Wohnungen“ vermietet
„Am Schauplatz“-Reporterin Beate Haselmayer hat versucht, mit den Bewohnern in Kontakt zu treten. Sie traf Frauen aus Rumänien an, Verkäuferinnen von Straßenzeitungen. Sie gaben an, bis zu 600 Euro für ein schäbiges Zimmer bezahlen zu müssen. Das Geld gehe an einen Mann, den sie „den Chef“ nennen. Er sei Österreicher.
Besitzer will von nichts wissen
Der Besitzer des Hauses, Herr G., behauptet, von all dem nichts zu wissen. Es könne höchstens sein, dass „Unbefugte“ dort nächtigten, ohne sein Wissen. In einem Fax an die Redaktion schreibt er wörtlich: „Ich verwehre mich daher dagegen, von Ihnen mit den von Ihnen beschriebenen Ereignissen in Verbindung gebracht zu werden.“ Diese seien weder von ihm verursacht noch geduldet. Das Haus will Herr G. demnächst abreißen. Seltsam nur, dass auch in anderen Liegenschaften, die ihm gehören, ähnliche Vorgänge zu beobachten sind. In zwei Wiener Zinshäusern besitzt Herr G. Wohnungen.Von außen betrachtet sehen die Zinshäuser ganz normal aus - schöne Fassaden, aufgeräumte Treppenhäuser. Das Gros der Bewohner ist gutbürgerlich. Doch im Hof oder im Keller herrscht ein reges Kommen und Gehen. Bis zu 50 Menschen seien im Hinterhof oft herumgelungert, schildert Herr H., der hier eine Wohnung besitzt. „Das war ein Lärm und ein Psychoterror. Die Männer haben gesoffen, die Frauen wurden zum Betteln geschickt.“
Geld verdienen mit dem Elend
Momentan sei die Lage ruhig, zumindest im Hof. In zwei Wohnungen im Obergeschoß aber gehe das Treiben munter weiter, berichtet Herr H. Eine Juristin, die ihre Kanzlei hier hat, vermutet: „Hier verdient jemand mit dem Elend der Menschen sehr viel Geld.“ Im zweiten Haus sind in Kellern ohne Fenster Menschen einquartiert. Bewohner berichten von Messerstechereien und Tumulten.ORF Massenquartiere fliegen meist nicht auf - zu groß ist die Angst der Mieter
Herr G., der Besitzer der angesprochenen Wohnungen, sieht sich auch in diesen Fällen als Opfer. Er versuche, „Abhilfe zu verschaffen“, schreibt er in seiner Stellungnahme an die „Schauplatz“-Redaktion. Er habe die Wohnungen von einem Mann gekauft, der zugesagt habe, sie „bestandsfrei“ zu machen. Was nicht passiert sei. Herr G. wörtlich: „Diese Probleme habe nicht ich verursacht, sondern fühle mich vielmehr damit alleingelassen.“
Einzelne Matratzen vermietet
Reporterin Haselmayer fand auch in anderen Zinshäusern ähnliche Missstände vor. Zum Beispiel in einem sehr belebten Haus an der Wiener Brigittenauer Lände, wo es unlängst beinahe zu einer Katastrophe kam. In einer Wohnung, in der indische Zeitungskolporteure Matratzen zum Übernachten mieteten, ist ein Brand ausgebrochen.Warum unternehmen die Behörden nichts? Existiert kein Gesetz, das Elendsquartiere oder Wuchermieten verbietet? „Es gibt einen Paragraphen gegen Wucherzins“, erklärt der Mietrechtsexperte von der Arbeiterkammer (AK), Walter Rosifka. Aber der sei praktisch totes Recht, weil kaum je ein Vermieter von Massenquartieren vor dem Richter lande. Rosifka: „Die Mieter könnten auch zur Schlichtungsstelle gehen und eine Herabsetzung ihrer Mieten durchsetzen.“ Aber auch das kommt so gut wie nie vor. Die meisten haben zu viel Angst. Angst, auch noch ihr schäbiges Quartier zu verlieren und auf der Straße zu landen.
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