es sind diese Frauen und Männer,Pflegerinnen und Pfleger, die in den höchsten Gehaltsstufen angesiedelt sein sollten ...sie "tragen des Anderen Last" - Lasten,die die meisten von uns nicht mehr auf sich nehmen wollen,oder können... Denken wir in diesen Tagen der Karwoche an die vielen alten Menschen,die pflegebedürftig sind, abhängig von der Zuwendung Anderer, die ihr Leben nicht mehr "selbst in der Hand haben" - das ist vielleicht der schwerste Weg am Ende des Lebens ....
eine Reportage die zu denken gibt: von http://orf.at/stories/2224269/2224271/
Der Preis der Menschlichkeit
Frau K. arbeitet seit 25 Jahren in ihrem Beruf. Sie ist Angestellte einer privaten Firma und in der mobilen Pflege tätig. Das heißt: Sie besucht Klienten zu Hause, kranke Menschen, sehr alte Menschen, denen sie je nach Pflegestufe mit dem Nötigsten hilft. Ihr Luxus ist es, mit dem Privatauto von einem Termin zum nächsten zu fahren, um nicht wie ihre Kolleginnen den halben Tag lang mit einem schweren Rucksack in den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein.Von Termin zu Termin - das ist wörtlich zu verstehen. Während sie früher im Durchschnitt zwei bis drei Stunden bei einem Klienten war, sind es heute in der Regel 30, oft sogar nur 15 Minuten. Rund acht Hausbesuche macht sie an einem Sechsstundentag. Frau K. ist alles andere als larmoyant. Sie strahlt Stärke und bodenständiges Selbstbewusstsein aus. Dennoch merkt man ihr im Gespräch mit ORF.at an, dass es ihr nahegeht, wie sich der Beruf verändert hat.
15 Minuten: Pflege im Eilverfahren
Wie darf man sich eine 15-Minuten-Pflege vorstellen? Frau K. hat ein Handy mit einer App von ihrer Firma. Wenn sie die Schwelle beim Klienten übertritt, muss sie das der App melden. Vier Minuten vor dem Ende ihrer Besuchszeit wird sie durch ein Signal zur Eile angetrieben.In 15 Minuten, da kann man einem Klienten gerade einmal vorbereitete Medikamente verabreichen, die Wohnung kontrollieren und ein Essen in die Mikrowelle schieben. Ist sie seit 19 Minuten an Ort und Stelle, hat sie also vier Minuten überzogen, ertönt erneut ein Signal, und am Handy poppt ein Fenster auf. Frau K. muss sich rechtfertigen. Vier mögliche Erklärungen kann man anklicken, etwa ein unvorhergesehenes Erbrechen des Klienten.
Alltagsfremde Planung
In Pflegeheimen und Krankenhäusern ist es nicht anders. Die Pflegegeldeinstufung und der dazugehörige Tätigkeitskatalog geben den Takt vor, wie Michaela Guglberger, Fachbereichskoordinatorin der Sektion Soziales und Gesundheit der Gewerkschaft vida, kritisiert. Jede Dienstleistung, etwa Wickeln mit 15 Minuten, wird genau katalogisiert und je nach Pflegestufe des Klienten angeordnet.So werden die Dienstpläne erstellt - ohne eine Minute Luft für Zwischenmenschliches, individuelle Probleme oder Unvorhergesehenes. Nur, dass Unvorhergesehenes die Regel ist im Pflegebereich, die Überforderung des Personals wird somit einkalkuliert.
Auf der Suche nach Personal
Zwei Gründe hat diese Hektik: Sparmaßnahmen und Personalknappheit, wobei das eine direkt mit dem anderen zusammenhängt. 51.000 Menschen arbeiten laut Gesundheitsstatistischem Jahrbuch im Pflegebereich, das inkludiert diplomierte Pflegefachkräfte (auch solche in Krankenhäusern) und Pflegehelfer. Bis 2025 nennt das Rote Kreuz einen Bedarf von 22.500 zusätzlichen Vollzeitbeschäftigten. Heute sind 1,5 Mio. Menschen über 65 Jahre alt, bis 2040 werden es 2,5 Mio. sein. Man kann sich den Anstieg an benötigten Pflegerinnen (derzeit üben vorwiegend Frauen den Beruf aus) bis dahin vorstellen.Über das AMS versuchen Institutionen und Firmen vermehrt, Männer und Menschen mit Migrationshintergrund anzusprechen (von denen viele immer noch illegal als Pflegerinnen arbeiten). Kurios: Obwohl Arbeitskräfte gesucht werden, gibt es in diesem Bereich eine steigende Arbeitslosenrate. Das liegt nicht zuletzt daran, dass viele, die den Beruf ergreifen, schon nach ein bis zwei Jahren nicht mehr wollen. Manche sind einfach nicht dafür geschaffen. Schade aber sei es, sehr schade, sagt Frau K., wenn eigentlich gute Pflegerinnen, die den Job an und für sich gerne machen würden, wegen der widrigen Bedingungen aufhören.
ORF.at/Birgit Hajek
Schwerarbeit für 1.100 Euro netto im Monat
Gründe für die hohe Fluktuation gibt es einige. Das fängt bei der Bezahlung an. Viele Pflegehelferinnen sind für 30 Wochenstunden beschäftigt und kommen damit auf einen Monatslohn von 1.100 Euro netto. Eva Maria Luger ist die Geschäftsführerin des Dachverbands der Wiener Sozialeinrichtungen und damit Arbeitgebervertreterin. Auf Anfrage erklärt sie, dass Floristinnen und Verkäuferinnen noch weniger verdienen. Wenn, dann müsse man über generelle Mindestlöhne in Österreich diskutieren. Aber ist der Beruf einer Pflegerin nicht per se belastender und deshalb schwer mit anderen zu vergleichen?Kranke Menschen, sehr alte Menschen und deren Angehörige sind keine leichte Klientel. Man ist täglich mit Leid, Schmerzen, dem Tod konfrontiert, dazu mit Blut, Urin und Fäkalien, von der Intimpflege der Klienten und den schwierigen Dienstzeiten abgesehen. Ein weiterer Arbeitgebervertreter, Wolfgang Gruber, Vorsitzender der Sozialwirtschaft Österreich, führt entsprechende Zulagen ins Rennen, gesteht aber ein: Es werde zu wenig Geld bezahlt. Mit mehr finanziellen Mitteln wäre es wesentlich einfacher, kompetentes und engagiertes Personal zu finden.
Familienfeindliche Dienstzeiten
Die Suche nach Pflegekräften scheitert auch an den Dienstplänen, sagt Pflegerin K. Wenn sie heute ein junger Mensch fragen würde, ob sie oder er Pflegerin oder Pfleger werden soll, was würde sie sagen? Frau K. überlegt lange, die Antwort fällt ihr schwer, weil sie ihren Job liebt, wie sie bereits mehrfach betont hat, weil sie gerne anderen Menschen hilft. Dennoch würde sie sagen: „Überleg dir das lieber gut, wenn du einmal Familie haben möchtest.“ Sprich: Frau K. rät eher ab.Denn die Dienstzeiten seien heute familienfeindlich. Durch die allgemeine Personalknappheit sind die Dienstpläne unflexibel. Ständig muss man einspringen, wenn nur eine im Team krank oder auf Urlaub ist. Wer abwinkt, macht sich unbeliebt. Wochenend- und Nachtdienste sind naturgemäß die Regel, ob in der mobilen Pflege, im Heim oder im Krankenhaus, das gehört zum Berufsbild.
Zweigeteilte Tage
Gerade in der mobilen Pflege stünden aber in einigen Bundesländern auch geteilte Dienste immer noch an der Tagesordnung. Drei Stunden in der Früh und dann noch einmal drei Stunden am späten Nachmittag und frühen Abend. Frau K. und Gewerkschafterin Guglberger appellieren an die Arbeitgeber: Es geht auch anders. Man solle den Klienten sanft vermitteln, dass kleine Veränderungen im Tagesablauf in Ordnung seien. Gewaschen werden könne man um 14.00 Uhr genauso, auch wenn das eine ungewöhnliche Uhrzeit dafür sei.Was mehrere Insider hinter vorgehaltener Hand gegenüber ORF.at bestätigen: Die Dienstpläne sind aufgrund des Personalmangels so knapp kalkuliert, dass es sich kaum eine Institution oder Firma leisten kann, schwarze Schafe zu kündigen. Das können Angestellte sein, die niemals den Beruf ergreifen hätten sollen oder solche, die aufgrund der Bedingungen ausgebrannt sind. Zu spüren bekommen das dann die Klienten. Einzelne Pflegerinnen, die ihre Schutzbefohlenen vernachlässigen oder schlecht behandeln, machen Schlagzeilen. Und Stress sorgt auch abseits dieser Fälle nicht gerade für eine entspannte Stimmung - mehr dazu in „Wenn Pflege scheitert“.
Keine Zeit für Menschlichkeit
Die meisten freilich, sagt Walter Gruber von der Sozialwirtschaft Österreich, seien motiviert und sähen ihren Beruf als echte Aufgabe an. Dazu zählt Pflegerin K. Gerade die Engagierten wie sie leiden unter der mangelnden Zeit für den einzelnen Menschen. Mit Begeisterung erzählt sie als altgedienter Pflegeprofi von früher, als man mit den Menschen noch spazieren gehen, plaudern und Karten spielten konnte - mehr dazu in „Wenn Pflege funktioniert“. Man konnte die Patienten, etwa beim Waschen, noch vieles selbst machen lassen, auch wenn es dadurch langsamer ging. Das habe der Gesundheit der Patienten gutgetan.Viele Alte und Kranke seien heute einsam und bekämen außer den Pflegerinnen niemanden zu sehen. Kaum ein Klient wolle sie gehen lassen: „Jetzt haben sie sich gerade erst ausgezogen und wollen schon wieder gehen?“ Das und Ähnliches bekommt Frau K. dauernd zu hören. Für Menschlichkeit sei keine Zeit. „Das Bedürfnis zu reden“ ist kein Grund, länger zu bleiben, keiner, den die App auf dem Handy als Antwort akzeptiert. Man lässt die Menschen nach 15 Minuten alleine mit sich selbst und ihren Problemen, ob bitterster Armut, Alkoholismus, der Angst vor dem Tod oder allem zugleich.
ORF.at/Birgit Hajek
Eine Frage des Umgangs miteinander
Erste Anzeichen, dass die andauernde Kritik von Pflegeorganisationen bei der Regierung angekommen sind, gibt es. Der Pflegefonds wurde kürzlich aufgestockt, eine Karenz für pflegende Angehörige und eine 24-Stunden-Betreuung für zu Hause wurden ermöglicht. Sieht man sich die Zahlen an, sind das alles dennoch nur erste Schritte und einzelne Tropfen auf dem heißen Stein, sagt Guglberger von der Gewerkschaft.Wenn Guglberger über die Gehälter in der Branche verhandelt, sitzt sie Gruber von der Sozialwirtschaft Österreich gegenüber. Er kennt die Probleme, auch wenn er nicht viel Geld zu verteilen hat. Wie der Pflegeberuf attraktiver zu gestalten wäre, abseits von mehr Bezahlung, dafür hat Gruber Ideen: mehr Zeit für die Arbeit und mehr Kompetenzen. Auf die Alterung der Gesellschaft dürfe man nicht nur mit dem Ausbau medizinischer Betreuung reagieren. Es brauche mehr Zuwendung. Das sei eine Frage des gesellschaftlichen Umgangs miteinander. Früher hätte man gesagt: eine Frage der Höflichkeit alten Menschen gegenüber.
Pflege- statt Bankenrettung
Aber Höflichkeit ist keine Tugend, mit der man weit kommt, wenn es darum geht, seinen Kuchen vom Budget einzufordern. Wie bei vielen unterfinanzierten Bereichen (etwa Bildung) ist auch im Pflegebereich die Verantwortung auf Bund, Länder und Gemeinden aufgeteilt - und noch auf einen öffentlichen und einen privaten Bereich. Damit hat die Gewerkschaft keinen einzelnen Ansprechpartner. Die Regeln müssten in ganz Österreich gleich sein, die Pflege in Bundeskompetenz übergehen, wird gefordert.Gewerkschaft und Pflegeorganisationen bilden eine kenntnisreiche und rührige Lobby. Vergleicht man sie freilich mit der Bankenlobby oder jener der Baubranche, steht sie auf verlorenem Posten. Beide, Gewerkschaft und Pflegeorganisationen, fordern die Einhebung ordentlicher Vermögenssteuern, zweckgebunden für die Pflege. Gruber hätte eine weitere Idee: weniger in die Bankenrettung zu investieren. Mit 4,2 Mrd. Euro bis 2020 könnte man die oft beschworene „Pflegemisere“ abwenden, rechnen Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, Volkshilfe und Hilfswerk gemeinsam vor. Jede Regierung setzt ihre Prioritäten.
Simon Hadler, ORF.at