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Donnerstag, 20. August 2015

SDS Salvatorianer 27 - mail an Eugen Paganelli - bitte weiterleiten - Absender: Bernhard v.C



"Wo soll ich anfangen? 
Am besten bei Deinen zahlreichen Beschäftigungen, 
denn ihretwegen habe ich am meisten Mitleid mit Dir. 
Ich kann allerdings nur Mitleid mit Dir haben, wenn Du selbst Leid empfindest. 
Sonst müsste ich richtiger sagen, dass es mir um Dich leid tut. 
Denn wo einer kein Leid empfindet, kann man auch nicht mitleiden. 
Wenn Du also leidest, dann empfinde ich Mitleid mit Dir; 
wenn nicht, tust Du mir dennoch leid, 
ja dann erst recht, 
denn ich weiß, dass ein Glied, das nichts mehr empfindet,
schon ziemlich weit weg vom Heilsein ist, 
und dass ein Kranker, der gar nichts mehr von seinem Kranksein spürt, in Lebensgefahr schwebt.
Verlass Dich nicht zu sehr auf das, was Du im Augenblick empfindest. Es gibt in unserem Geist nichts, was sich nicht durch Nachlässigkeit und Zeitverstreichen abschleift. 
Über eine alte Wunde, die man vernachlässigt, wächst ein Schorf, 
und je weniger man sie noch spürt, desto unheilbarer wird sie. 
Und einen ständigen heftigen Schmerz kann man nicht tagtäglich aushalten. 
Lässt er sich nicht irgendwie tilgen, so spürt man ihn allmählich weniger
.,,er stumpft im Laufe der Zeit ab. 

Gibt es etwas, was die Gewohnheit nicht verkehrt? 
Was durch ständiges Andauern nicht hart wird? 
Was sich durch Gebrauch nicht verschleißt? ...
Zunächst kommt Dir etwas unerträglich vor. 
Im Laufe der Zeit gewöhnst Du Dich vielleicht daran und hältst es nicht mehr für so schwer; 
es dauert nicht lange, und es kommt Dir leicht vor; 
es vergeht nicht viel weitere Zeit, und es sagt Dir sogar zu. 
So verhärtet man allmählich Schritt für Schritt sein Herz, 
und auf die Verhärtung folgt die Abneigung. 
Ja, so geht es: ein schwerer und ständiger Schmerz drängt auf einen raschen Ausweg: 
entweder auf die Gesundheit oder auf die Empfindungslosigkeit.
Das harte Herz
Aus diesem, eben diesem Grund lebe ich in ständiger Sorge um Dich. 
Ich fürchte, sage ich, dass Du, eingekeilt in Deine zahlreichen Beschäftigungen, 
keinen Ausweg mehr siehst und deshalb Deine Stirn verhärtest; dass Du Dich nach und nach des Gespürs für einen durchaus richtigen und heilsamen Schmerz entledigst. 
Es ist viel klüger, Du entziehst Dich von Zeit zu Zeit Deinen Beschäftigungen, als dass sie Dich ziehen und Dich nach und nach an einen Punkt führen, an dem Du nicht landen willst. 
Du fragst, an welchen Punkt? 
An den Punkt, wo das Herz hart wird. 
Frage nicht weiter, was damit gemeint sei; wenn Du jetzt nicht erschrickst, 
ist Dein Herz schon so weit.


Das harte Herz ist allein; 
es ist sich selbst nicht zuwider, 
weil es sich selbst nicht spürt. ...
Was ist also ein hartes Herz? 
Das ist ein Herz, welches sich weder von Reue zerreißen, noch durch Zuneigung erweichen, noch durch Bitten bewegen lässt. Es lässt sich von Drohungen nicht beeindrucken, es wird durch Schläge nur noch härter. Gegenüber Wohltaten ist es undankbar, Ratschläge nimmt es nicht an, über klare Entscheidungen wird es wütend, vor Schimpflichem scheut es sich nicht, 
Gefahren nimmt es nicht wahr; es hat kein Gespür für menschliches Verhalten, ist Gott gegenüber gleichgültig, verliert die Vergangenheit aus dem Bewusstsein, lebt unachtsam in der Gegenwart, schaut nicht voraus in die Zukunft.
Für das harte Herz gibt es nichts Erinnerungswertes, außer zugefügte Beleidigungen, nichts Wichtiges in der Gegenwart, nichts in der Zukunft, wonach es ausschauen oder worauf es sich vorbereiten könnte, es sei denn, dass es irgendeinen Racheakt im Schilde führe....
Schau, dahin ziehen Dich diese verfluchten Beschäftigungen, wenn Du so wie bisher weitermachst und Dich ihnen völlig auslieferst, ohne Dir etwas für Dich vorzubehalten. 
Du vergeudest Zeit und -  
Du verausgabst Dich selbst in ihnen in sinnloser Mühe, die nur den Geist versehrt, 
das Herz aushöhlt und die Gnade verpuffen lässt. 

Selbstbesinnung
Wenn Du Dein ganzes Leben und Erleben völlig ins Tätigsein verlegst und keinen Raum mehr für die Besinnung vorsiehst, soll ich Dich da loben? 
Darin lobe ich Dich nicht. 
Ich glaube, niemand wird Dich loben, der das Wort Salomos kennt: Wer seine Tätigkeit einschränkt, erlangt Weisheit (Jesus Sirach 38, 25). 
Und bestimmt ist es der Tätigkeit selbst nicht förderlich, wenn ihr nicht die Besinnung vorausgeht.

Wenn Du ganz und gar für alle da sein willst, 
nach dem Beispiel dessen, der allen alles geworden ist (1. Korinther 9, 22), 
lobe ich Deine Menschlichkeit - aber nur, wenn sie voll und echt ist. 
Wie kannst Du aber voll und echt Mensch sein, wenn Du Dich selbst verloren hast?  
Auch Du bist ein Mensch. Damit Deine Menschlichkeit allumfassend und vollkommen sein kann, musst Du also nicht nur für alle anderen da sein, 
sondern auch für Dich selbst ein aufmerksames Herz haben. 
Wenn also alle Menschen ein Recht auf Dich haben, dann sei auch Du selbst ein Mensch, der ein Recht auf sich selbst hat. Warum solltest einzig Du selbst nichts von Dir haben? 
Wie lange bist Du noch ein Geist, der auszieht und nie wieder heimkehrt (Psalm 78, 39)? 
Wie lange noch schenkst Du allen andern Deine Aufmerksamkeit, nur nicht Dir selber? ...
Bist Du etwa Dir selbst ein Fremder? 
Und bist Du nicht jedem fremd, wenn Du Dir selber fremd bist? 
Ja, wer mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein? 

Denk also daran: 
Gönne Dich Dir selbst. 
Ich sage nicht: tu das immer, 
ich sage nicht: tu das oft, 
aber ich sage: tu es immer wieder einmal. 
Sei wie für alle anderen auch für Dich selbst da..."




Brief von Bernhard von Clairvaux an Papst Eugen III,  
der zuvor sein Mitbruder als Zisterzienser war 
Leider haben beide Herren ab 1145 zum 2.Kreuzzug aufgerufen -  
weniger Stress wäre den Menschen heilsamer gewesen - 
möge Gott uns helfen, es heute besser zu machen
Brief Auszüge zitiert nach:  
Paul Geißendörfer: Komme zu dir selbst. Evang. Buchhilfe e.V., Vellmar 1990