Fotos Elfi Jungwirth
Von Hendlhaxln
und Nervensägen…
Eine etwas
andere Weihnachtsgeschichte
Elfi Jungwirth, Sozialarbeiterin, Flüchtlingshelferin - eine facebook Freundin
(auch eine von der Art, die man gar nicht persönlich kennt und die einem dennoch sehr nahe ist)
hat sie mir geschickt. Weil ich Elfi gar nicht "face to face" kenne habe ich sie noch um ein paar Worte zu ihrer Person gebeten::
"Ich bin bereits ein „älteres Semester“, 55,
verheiratet und habe 4 erwachsene Söhne (der Jüngste ist gestern
„erwachsen“ geworden…). Beruflich bin ich seit knapp 10 Jahren mit aller
Leidenschaft in der Flüchtlings-Sozialarbeit tätig. Für mich ist das
nicht „Beruf“ sondern – etwas pathetisch ausgedrückt – „Berufung“.
Erst
gestern wieder haben wir im Flüchtlingshaus gemeinsam Weihnachten und
Jahresschluss gefeiert, - mit bunten Packerln voll mit gebrauchtem
Spielzeug, das im Lauf des Jahres liebe Menschen vorbeibringen. Für die
Erwachsenen habe ich Porträts ihrer Kinder – in schmucken Bilderrahmen –
vorbereitet… was bei manchen Menschen die Freudentränen kullern ließ…
Für
mich gibt’s bei unseren Weihnachtsfeiern (und auch sonst oft während
des Jahres) sehr berührende, bewegende Momente: sei es, dass ein fast
erwachsenes Mädchen beschließt, mich ab sofort „Mama“ zu nennen, - oder
eben Erlebnisse, wie jenes in der Weihnachtsgeschichte beschriebene…
Weiterlesen in der „Weihnachtsgeschichte“…;-)
"Die Zeit um
Weihnachten hat im Flüchtlingshaus jedes Jahr etwas Eigenartiges, Sonderbares,
Unrundes. Die strenggläubigen Muslime aus dem Kaukasus möchten am liebsten gar
nichts von Weihnachten wissen. Weihnachten hat in ihren Ländern und ihrer
Religion keine Bedeutung, ist ihnen fremd und suspekt. Muslime aus anderen
Ländern, wie Afghanistan oder dem Nahen Osten, sehen das nicht so streng. Sie
sind froh, wenn es ein wenig Abwechslung im eintönigen Alltag gibt.
Und da sind
dann auch all die Kinder: vom Baby bis zu den Jugendlichen, aus Fernost,
Afrika, Syrien, Irak, Iran, Tschetschenien, Afghanistan – sie alle wollen
natürlich um jeden Preis etwas feiern, - ob Weihnachten, oder sonst irgendwas
ist dabei unwichtig.
Weihnachten
im Flüchtlingshaus ist bei uns jedes Jahr: Gemeinsam kochen, ein paar Tage
vorher gemeinsam österreichische Kekse backen und diese dann gemeinsam
verspeisen, einen Christbaum schmücken mit Kugeln, die liebe Menschen selber nicht
mehr gebraucht und für die Flüchtlinge spendiert haben. Manchmal steuern Kinder
das eine oder andere Gedicht oder Musikstück bei. Religiöses ist nicht dabei, -
niemand soll irritiert werden.
So
verbringen Muslime, Buddhisten, Christen, Jeziden einen besonderen Nachmittag
oder Abend zusammen.
Für die
Kinder gibt es je ein Packerl mit gebrauchtem Spielzeug und Süßigkeiten, die im
Lauf der Zeit von freundlichen Menschen bei mir, der Betreuerin, abgegeben
wurden.
Wenn wir
Glück haben bringt ein Nachbar oder eine Freundin des Hauses einen Christbaum
vorbei, - wenn nicht, heißt es beim örtlichen Adeg-Markt oder einem
Christbaumhändler noch ein wenig um den Preis feilschen. Geld ist immer
Mangelware im Flüchtlingshaus.
Was das
gemeinsame „Festmahl“ betrifft einigen wir uns jedes Mal wieder auf
Hühnerhaxl’n aus dem türkischen Markt: „Halal“ müssen sie sein, somit auch für
die strenggläubigen Muslime akzeptabel, - und allen anderen schmecken sie ebenso.
Sozusagen ein kulinarischer „kleinster gemeinsamer Nenner“ also.
Als Nachspeise gibt es alle Jahre wieder die typisch österreichischen Weihnachtskekse, die wir in den Tagen zuvor gemeinsam gebacken haben. Klingt einfallslos, - vielleicht.
auch das gehört nun schon zu unseren jährlich
wiederkehrenden Ritualen: vor Weihnachten kommen meist zwei, drei Frauen
ins Wohnprojekt und backen gemeinsam mit den Flüchtlingsfrauen
österreichische Weihnachtskekse….
Eben
„alle Jahre wieder“… Zwischen zwei Weihnachtsfesten
vergeht ja immerhin ein ganzes Jahr, und manche BewohnerInnen sind beim
nächsten Mal vielleicht schon gar nicht mehr dabei – möglicherweise schon
abgeschoben ins Herkunftsland, vielleicht auch mit einem Positivbescheid
bereits in der richtigen österreichischen Realität angekommen: verzweifelt nach
Arbeit suchend, oder verwirrt im österreichischen Ämterdschungel herumirrend, -
da sollte unser einfallsloser Menü-Kompromiss das geringste Übel sein.
Als Nachspeise gibt es alle Jahre wieder die typisch österreichischen Weihnachtskekse, die wir in den Tagen zuvor gemeinsam gebacken haben. Klingt einfallslos, - vielleicht.
Immer gleich
ist auch die große Aufregung der Kinder. Richtige Nervensägen können sie an
solchen Tagen werden, - zumindest bis der große Augenblick der „Bescherung“
vorbei ist. Wie ganz normale Kinder eben. Manche bekommen vor Aufregung Fieber,
manche zappeln einfach herum, manche sind sonstwie unausstehlich. Bis zu
fünfzehn Kinder leben – teils mit Mama, oder Papa, oder glücklichenfalls mit
beiden Eltern – in „meinem“ Flüchtlingshaus. Naheliegend, dass es da an solchen
Tagen ziemlich rund geht.
Immer wieder
gibt es dabei auch sehr berührende Momente. Große Aufregung im Haus, als
ausgerechnet am Morgen unseres Weihnachtsfestes eine mongolische hochschwangere
Frau Wehen bekommt und mit der Rettung ins Krankenhaus gebracht wird. Zurück
bleibt ein irritierter, heillos überforderter Papa mit zwei kleinen Kindern. Während
seine Kinder mit Essen und Geschenke Sortieren bestens abgelenkt sind, sitzt
der mongolische (werdende) Papa den ganzen Abend wortlos in einer Ecke des
Gemeinschaftsraums, schwitzt, ist angespannt und reagiert auch nicht auf
wohlgemeinte Späßchen der Mitbewohner.
Erst am
nächsten Tag – und doch noch gerade rechtzeitig vor dem Heiligen Abend – kommt
die erlösende Nachricht aus dem Krankenhaus: Ein gesundes Mädchen wurde
geboren, - Mama und Kind sind wohlauf! – Ich vermute, dass an diesem Abend die
sprichwörtliche mongolische Trinkfestigkeit unter Beweis gestellt wurde… zu
einem derartigen Anlass ist das ausnahmsweise verzeihlich!
Eine andere
weihnachtliche Begebenheit wird mir ebenfalls immer in Erinnerung bleiben.
Damals wohnt eine afghanische Familie im Asylheim: zwei ganz liebe Teenager-Mädchen,
ein kleiner Junge im Kindergartenalter, ein kleines Mädchen – noch kaum selbständig
auf den eigenen Beinchen stehend, eine resolute Mama, die die verzweifelte Lage
der Familie trotz aller widrigen Umstände ganz gut im Griff hat, und ein Papa,
der schwerst psychisch krank ist. Herr B. wirkt meist, als spielte sich sein
Leben in einer anderen Welt ab. Er nimmt starke Medikamente, scheint abwesend,
verwirrt, depressiv, eben schwer krank.
Als ich die
Familie wenige Monate zuvor kennenlerne, versuche ich ganz behutsam, den
Zustand von Herrn B. zu erfassen, zu erfühlen, für mich einzuordnen. Zu jenem
Zeitpunkt versteht kein Familienmitglied unsere Sprache, und ich wiederum spreche
weder Dari, noch Farsi oder Pashto, die gängigsten afghanischen Sprachen.
Trotzdem verständigen wir uns – mit Händen und Füßen, mit Gestik, Mimik, mit
Geduld und Einfühlsamkeit – es geht, irgendwie.
Ich frage
Herrn B., was er denn in Afghanistan getan habe, um seine Krankheit zu ertragen.
Nach kurzem Nachdenken beginnt sein Gesicht zu strahlen. Er holt kurz Luft,
schließt die Augen, und beginnt ein afghanisches Lied zu singen. Es muss ein
sehr schönes Liebeslied sein, - das spüre ich, obwohl ich kein einziges Wort
dieser Sprache verstehe. Herr B. wirkt entrückt, weit entfernt in einer anderen
Welt, wo ihn nichts bedrückt. Ich spüre
auf meinen Unterarmen eine Gänsehaut aufziehen, ich merke Tränen in meinen
Augen. Als er fertig ist, öffnet er die Augen, und – ist wieder der schwerkranke
Mann, der viel älter wirkt, als er tatsächlich ist.
Später
schenkt ihm eine liebe Dame aus der Nachbarschaft eine Blockflöte aus Holz, die
Herr B. hütet wie einen Schatz.
Bei unserer
Weihnachtsfeier wenige Wochen später ist Herr B. zwar körperlich anwesend, aber
gleichzeitig auch sehr fern, abwesend, in seiner schwermütigen Welt versunken.
Nach einigem Überlegen frage ich Herrn B., ob er auf seiner Flöte etwas
vorspielen möchte. Ich weiß um die Gefahr, dass Mitbewohner darüber lachen
könnten, oder die anwesenden Kinder ihn nicht ernst nehmen. Was aber dann
passiert, lässt alle zutiefst berührt zurück: Wie damals an seinem ersten Tag
im Flüchtlingshaus, als er entrückt ein afghanisches Lied gesungen hatte, nimmt
er seine Flöte und scheint in eine andere Welt zu entschweben. Er spielt eine
afghanische Volksweise, konzentriert und mit unbeschreiblicher Hingabe.
Alle hören aufmerksam zu und sind zutiefst berührt. Als sich dann alle entspannt dem Essen und den Geschenken widmen, ist Herr B. bereits wieder „weit weg“, - in seiner Welt, in der bedrückten, schweren, in der er trotz Krankheit irgendwie überleben kann.
Alle hören aufmerksam zu und sind zutiefst berührt. Als sich dann alle entspannt dem Essen und den Geschenken widmen, ist Herr B. bereits wieder „weit weg“, - in seiner Welt, in der bedrückten, schweren, in der er trotz Krankheit irgendwie überleben kann.
Wie wird
Weihnachten und das Jahresende heuer ablaufen? Vermutlich wieder mit Hendlhaxln,
und selbstgebackenen Keksen, überdrehten und aufgeregten Kindern, mit kleinen
liebevoll eingepackten Geschenkspackerln, gefüllt mit gebrauchtem Spielzeug und
Süßigkeiten, und… - wie es weitergeht, siehe oben…
Ein PS, auf das Elfi Wert legt:
„Bei den handelnden Personen in der Geschichte wurden Namen und persönliche Daten geändert. Ähnlichkeiten mit aktuell in Österreich wohnenden Personen sind zufällig.“