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Dienstag, 23. Dezember 2014

Weihnachten im Flüchtlingshaus - von Hendlhaxn und Nervensägen


                                                          Fotos Elfi Jungwirth


Von Hendlhaxln und Nervensägen…

Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte  

Elfi Jungwirth, Sozialarbeiterin, Flüchtlingshelferin - eine facebook Freundin 
(auch eine von der Art, die man gar nicht persönlich kennt und die einem dennoch sehr nahe ist)
hat sie mir geschickt.  Weil ich Elfi gar nicht "face to face" kenne habe ich sie noch um ein paar Worte zu ihrer Person gebeten::
"Ich bin bereits ein „älteres Semester“, 55, verheiratet und habe 4 erwachsene Söhne (der Jüngste ist gestern „erwachsen“ geworden…). Beruflich bin ich seit knapp 10 Jahren mit aller Leidenschaft in der Flüchtlings-Sozialarbeit tätig. Für mich ist das nicht „Beruf“ sondern – etwas pathetisch ausgedrückt – „Berufung“.
Erst gestern wieder haben wir im Flüchtlingshaus gemeinsam Weihnachten und Jahresschluss gefeiert, - mit bunten Packerln voll mit gebrauchtem Spielzeug, das im Lauf des Jahres liebe Menschen vorbeibringen. Für die Erwachsenen habe ich Porträts ihrer Kinder – in schmucken Bilderrahmen – vorbereitet… was bei manchen Menschen die Freudentränen kullern ließ…
Für mich gibt’s bei unseren Weihnachtsfeiern (und auch sonst oft während des Jahres) sehr berührende, bewegende Momente: sei es, dass ein fast erwachsenes Mädchen beschließt, mich ab sofort „Mama“ zu nennen, - oder eben Erlebnisse, wie jenes in der Weihnachtsgeschichte beschriebene… Weiterlesen in der  „Weihnachtsgeschichte“…;-)

"Die Zeit um Weihnachten hat im Flüchtlingshaus jedes Jahr etwas Eigenartiges, Sonderbares, Unrundes. Die strenggläubigen Muslime aus dem Kaukasus möchten am liebsten gar nichts von Weihnachten wissen. Weihnachten hat in ihren Ländern und ihrer Religion keine Bedeutung, ist ihnen fremd und suspekt. Muslime aus anderen Ländern, wie Afghanistan oder dem Nahen Osten, sehen das nicht so streng. Sie sind froh, wenn es ein wenig Abwechslung im eintönigen Alltag gibt.
Und da sind dann auch all die Kinder: vom Baby bis zu den Jugendlichen, aus Fernost, Afrika, Syrien, Irak, Iran, Tschetschenien, Afghanistan – sie alle wollen natürlich um jeden Preis etwas feiern, - ob Weihnachten, oder sonst irgendwas ist dabei unwichtig.

Weihnachten im Flüchtlingshaus ist bei uns jedes Jahr: Gemeinsam kochen, ein paar Tage vorher gemeinsam österreichische Kekse backen und diese dann gemeinsam verspeisen, einen Christbaum schmücken mit Kugeln, die liebe Menschen selber nicht mehr gebraucht und für die Flüchtlinge spendiert haben. Manchmal steuern Kinder das eine oder andere Gedicht oder Musikstück bei. Religiöses ist nicht dabei, - niemand soll irritiert werden.
So verbringen Muslime, Buddhisten, Christen, Jeziden einen besonderen Nachmittag oder Abend zusammen.
Für die Kinder gibt es je ein Packerl mit gebrauchtem Spielzeug und Süßigkeiten, die im Lauf der Zeit von freundlichen Menschen bei mir, der Betreuerin, abgegeben wurden.
Wenn wir Glück haben bringt ein Nachbar oder eine Freundin des Hauses einen Christbaum vorbei, - wenn nicht, heißt es beim örtlichen Adeg-Markt oder einem Christbaumhändler noch ein wenig um den Preis feilschen. Geld ist immer Mangelware im Flüchtlingshaus.

Was das gemeinsame „Festmahl“ betrifft einigen wir uns jedes Mal wieder auf Hühnerhaxl’n aus dem türkischen Markt: „Halal“ müssen sie sein, somit auch für die strenggläubigen Muslime akzeptabel, - und allen anderen schmecken sie ebenso. Sozusagen ein kulinarischer „kleinster gemeinsamer Nenner“ also. 


Als Nachspeise gibt es alle Jahre wieder die typisch österreichischen Weihnachtskekse, die wir in den Tagen zuvor gemeinsam gebacken haben. Klingt einfallslos, - vielleicht. 

auch das gehört nun schon zu unseren jährlich wiederkehrenden Ritualen: vor Weihnachten kommen meist zwei, drei Frauen ins Wohnprojekt und backen gemeinsam mit den Flüchtlingsfrauen österreichische Weihnachtskekse….

Eben „alle Jahre wieder“…  Zwischen zwei Weihnachtsfesten vergeht ja immerhin ein ganzes Jahr, und manche BewohnerInnen sind beim nächsten Mal vielleicht schon gar nicht mehr dabei – möglicherweise schon abgeschoben ins Herkunftsland, vielleicht auch mit einem Positivbescheid bereits in der richtigen österreichischen Realität angekommen: verzweifelt nach Arbeit suchend, oder verwirrt im österreichischen Ämterdschungel herumirrend, - da sollte unser einfallsloser Menü-Kompromiss das geringste Übel sein.
Immer gleich ist auch die große Aufregung der Kinder. Richtige Nervensägen können sie an solchen Tagen werden, - zumindest bis der große Augenblick der „Bescherung“ vorbei ist. Wie ganz normale Kinder eben. Manche bekommen vor Aufregung Fieber, manche zappeln einfach herum, manche sind sonstwie unausstehlich. Bis zu fünfzehn Kinder leben – teils mit Mama, oder Papa, oder glücklichenfalls mit beiden Eltern – in „meinem“ Flüchtlingshaus. Naheliegend, dass es da an solchen Tagen ziemlich rund geht.

Immer wieder gibt es dabei auch sehr berührende Momente. Große Aufregung im Haus, als ausgerechnet am Morgen unseres Weihnachtsfestes eine mongolische hochschwangere Frau Wehen bekommt und mit der Rettung ins Krankenhaus gebracht wird. Zurück bleibt ein irritierter, heillos überforderter Papa mit zwei kleinen Kindern. Während seine Kinder mit Essen und Geschenke Sortieren bestens abgelenkt sind, sitzt der mongolische (werdende) Papa den ganzen Abend wortlos in einer Ecke des Gemeinschaftsraums, schwitzt, ist angespannt und reagiert auch nicht auf wohlgemeinte Späßchen der Mitbewohner.
Erst am nächsten Tag – und doch noch gerade rechtzeitig vor dem Heiligen Abend – kommt die erlösende Nachricht aus dem Krankenhaus: Ein gesundes Mädchen wurde geboren, - Mama und Kind sind wohlauf! – Ich vermute, dass an diesem Abend die sprichwörtliche mongolische Trinkfestigkeit unter Beweis gestellt wurde… zu einem derartigen Anlass ist das ausnahmsweise verzeihlich!

Eine andere weihnachtliche Begebenheit wird mir ebenfalls immer in Erinnerung bleiben. Damals wohnt eine afghanische Familie im Asylheim: zwei ganz liebe Teenager-Mädchen, ein kleiner Junge im Kindergartenalter, ein kleines Mädchen – noch kaum selbständig auf den eigenen Beinchen stehend, eine resolute Mama, die die verzweifelte Lage der Familie trotz aller widrigen Umstände ganz gut im Griff hat, und ein Papa, der schwerst psychisch krank ist. Herr B. wirkt meist, als spielte sich sein Leben in einer anderen Welt ab. Er nimmt starke Medikamente, scheint abwesend, verwirrt, depressiv, eben schwer krank.
Als ich die Familie wenige Monate zuvor kennenlerne, versuche ich ganz behutsam, den Zustand von Herrn B. zu erfassen, zu erfühlen, für mich einzuordnen. Zu jenem Zeitpunkt versteht kein Familienmitglied unsere Sprache, und ich wiederum spreche weder Dari, noch Farsi oder Pashto, die gängigsten afghanischen Sprachen. Trotzdem verständigen wir uns – mit Händen und Füßen, mit Gestik, Mimik, mit Geduld und Einfühlsamkeit – es geht, irgendwie.
Ich frage Herrn B., was er denn in Afghanistan getan habe, um seine Krankheit zu ertragen. Nach kurzem Nachdenken beginnt sein Gesicht zu strahlen. Er holt kurz Luft, schließt die Augen, und beginnt ein afghanisches Lied zu singen. Es muss ein sehr schönes Liebeslied sein, - das spüre ich, obwohl ich kein einziges Wort dieser Sprache verstehe. Herr B. wirkt entrückt, weit entfernt in einer anderen Welt, wo ihn nichts bedrückt.  Ich spüre auf meinen Unterarmen eine Gänsehaut aufziehen, ich merke Tränen in meinen Augen. Als er fertig ist, öffnet er die Augen, und – ist wieder der schwerkranke Mann, der viel älter wirkt, als er tatsächlich ist.
Später schenkt ihm eine liebe Dame aus der Nachbarschaft eine Blockflöte aus Holz, die Herr B. hütet wie einen Schatz.
Bei unserer Weihnachtsfeier wenige Wochen später ist Herr B. zwar körperlich anwesend, aber gleichzeitig auch sehr fern, abwesend, in seiner schwermütigen Welt versunken. Nach einigem Überlegen frage ich Herrn B., ob er auf seiner Flöte etwas vorspielen möchte. Ich weiß um die Gefahr, dass Mitbewohner darüber lachen könnten, oder die anwesenden Kinder ihn nicht ernst nehmen. Was aber dann passiert, lässt alle zutiefst berührt zurück: Wie damals an seinem ersten Tag im Flüchtlingshaus, als er entrückt ein afghanisches Lied gesungen hatte, nimmt er seine Flöte und scheint in eine andere Welt zu entschweben. Er spielt eine afghanische Volksweise, konzentriert und mit unbeschreiblicher Hingabe. 


Alle hören aufmerksam zu und sind zutiefst berührt. Als sich dann alle entspannt dem Essen und den Geschenken widmen, ist Herr B. bereits wieder „weit weg“, - in seiner Welt, in der bedrückten, schweren, in der er trotz Krankheit irgendwie überleben kann.
Wie wird Weihnachten und das Jahresende heuer ablaufen? Vermutlich wieder mit Hendlhaxln, und selbstgebackenen Keksen, überdrehten und aufgeregten Kindern, mit kleinen liebevoll eingepackten Geschenkspackerln, gefüllt mit gebrauchtem Spielzeug und Süßigkeiten, und… - wie es weitergeht, siehe oben…


Ein PS, auf das Elfi Wert legt:
„Bei den handelnden Personen in der Geschichte wurden Namen und persönliche Daten geändert. Ähnlichkeiten mit aktuell in Österreich wohnenden Personen sind zufällig.“