Die Geschichte von Lassana Bathily ist Balsam für die
Wunden eines verängstigten, verstörten und zornigen Frankreichs: Wie erst am
Wochenende nach dem Ende der Attentatsserie dreier französischer Islamisten
bekanntwurde, war es der 24-jährige Muslim Bathily, der vermutlich sechs
jüdischen Geiseln des Attentäters Amedy Coulibaly am Freitag das Leben rettete.
Es war der französische Nachrichtensender BFMTV, der
auf die bisher unbekannte Heldentat von Bathily während der tödlichen
Geiselnahme im koscheren Supermarkt bei der Porte de Vincennes in Paris stieß.
Der junge Hilfsarbeiter aus Mali arbeitete laut den Berichten im hinteren Teil
des Supermarkts und reagierte mit blitzschneller Geistesgegenwart, als
Coulibaly am Freitagvormittag bewaffnet das Geschäft stürmte und vier Menschen
tötete, woraufhin in dem Geschäft Panik ausbrach.
„Habe ihnen
gesagt, dass sie ruhig sein sollen“
Wie Bathily inzwischen gegenüber mehreren
französischen Medien immer und immer wieder schildern musste, rannten sechs
Supermarktkunden nach Coulibalys Eindringen vor diesem davon - und in Bathilys
Richtung im hinteren Teil des Geschäfts. In einem Sekundenbruchteil entschied
sich der einst illegal Eingewanderte, die Flüchtenden in den - von ihm zugleich
abgeschalteten - Kühlraum des Geschäfts zu lotsen, noch bevor Coulibaly sich
einen Überblick über die Lage machen konnte.
Bathilys List sollte erfolgreich bleiben: Tatsächlich
kam Coulibaly nicht auf die Idee, dass sich im Kühlraum weitere Menschen
verbergen könnten. Laut manchen Medienberichten waren es sogar weit mehr als
sechs Menschen, die sich im Kühlraum versteckten. Manche sprechen von bis zu 30
Supermarktkunden, die sich dank Bathily vor dem Attentäter verstecken konnten.
„Ich habe die Kühlung ausgeschaltet, ich habe das Licht abgedreht und ihnen
gesagt, dass sie ruhig sein sollten“, schilderte er die entscheidenden
Augenblicke gegenüber BFMTV.
Rufe nach
offizieller Ehrung
Das Verstecken der Geiseln war aus Bathilys Sicht aber
nur die zweitbeste Idee. Wie er im Interview schilderte, wollte er die Geiseln
zum Ausbruchsversuch überreden. Er erklärte ihnen, dass er die Notausgänge im
rückwärtigen Teil des Geschäfts kenne. „Aber sie haben Angst gehabt.“ Bathily
beschloss schließlich die Flucht im Alleingang: „Ich habe mich für das Risiko
zu gehen entschieden. Aber wenn der andere mich gesehen hätte, wäre ich tot.“
In den inzwischen vielen Interviews nennt Bathily den Attentäter immer nur „den
anderen“.
Dass Bathily den Geiselnehmer als „den anderen“
bezeichnet, ist aus der Sicht mancher ein bezeichnendes Detail: Mit all seinen
Aussagen ist er über Nacht zum symbolischen Gegenpol zu den Attentätern,
Radikalisierung und Islamismus geworden. In Sozialen Netzwerken greift bereits
als Paraphrase auf den Slogan „Je suis Charlie“ nach dem Attentat auf das
Satiremagazin „Charlie Hebdo“ der neue Slogan „Je suis Lassana“ um sich. Rufe
nach einer offiziellen Ehrung für den 24-Jährigen werden ebenso laut.
Harte Jahre
als minderjähriger Flüchtling
Es geht bei Bathily außerdem nicht nur um einen Muslim,
der Juden gerettet hat. Seine Lebensgeschichte steht auch für vieles, das zur
Radikalisierung junger Muslime in Frankreich beigetragen hat und viele
Franzosen zum Nachdenken bringt. Bathily kam im Jahr 2006 ohne offizielle
Einreisebewilligung als minderjähriger Flüchtling nach Frankreich, wo sein
Vater lebte. Seither ist er von seiner Mutter getrennt, die er bisher nicht aus
Mali nachholen konnte.
Gegenüber dem Sender France 24 spricht Bathily ohne
Verbitterung über die letzten Jahre. Es sei aber ein vierjähriger „Marsch durch
die Wüste“ gewesen, zu Papieren zu kommen: „Das war sehr hart, im Hinblick auf
die Arbeit, und genauso im Hinblick darauf, Eingang in die französische
Gesellschaft zu finden.“ Im Moment lebt er, von einer Sozialstiftung für Migranten
betreut, in einem Männerheim. Den Job in dem koscheren Supermarkt bekam er
ebenfalls im Zuge des Sozialprojekts, an dem sich die jüdischen Inhaber
beteiligen.
Jüdische
Arbeitgeber „wie zweite Familie“
Schon seit vier Jahren arbeitet Bathily in dem koscheren
Supermarkt, der am Freitag zum Schauplatz der Geiselnahme wurde. Über seine
Arbeitgeber lässt er nichts kommen. Er fühle sich dort „wie ein Fisch im
Wasser“, zitiert ihn France 24. „Nie hat man mir gegenüber auch nur eine
Bemerkung wegen meiner Religion gemacht, das ist wie eine zweite Familie für
mich geworden.“ Über Rassismus und Islamophobie will Bathily in den Interviews
nicht sprechen.
Seine Hautfarbe gereichte ihm allerdings bis hin zum
Polizeieinsatz am Freitag zum Nachteil: Als ihm die Flucht aus dem umstellten
Geschäft gelang, wollte er sofort die Polizei mit allen nötigen Informationen
versorgen. Er sei jedoch „eineinhalb Stunden in Handschellen“ gehalten worden,
bevor er für die Einsatzkräfte schließlich eine genaue Zeichnung vom Inneren des
Supermarkts anfertigten durfte.
„Zähle nicht
darauf, dass das irgendetwas ändert“
Dass er nun als Held herumgereicht wird, macht Bathily
keine Freude. Interviewanfragen lehnt er inzwischen mit dem Verweis ab, dass er
nach den Ereignissen vom Freitag eigentlich noch ziemlich müde sei. Im Internet
wird währenddessen dafür kampagnisiert, ihm sofort die Staatsbürgerschaft zu
verleihen. Andere wollen als Zeichen des offiziellen Frankreichs sehen, dass er
zum Ritter der Ehrenlegion ernannt wird.
Ein Ansuchen auf Verleihung der Staatsbürgerschaft
liege schon länger bei den Behörden, sagte Bathily. „Das wird bearbeitet, ich
weiß nicht, ob was wird daraus. Offen gestanden, ich zähle nicht darauf, dass
das, was passiert ist, irgendetwas ändert. Wenn ich sie bekomme, würde mich das
freuen.“ Ob er beim Gedenkmarsch am Sonntag teilnehmen wird, konnte er am
Samstag noch nicht sagen: „Alles, was ich weiß, ist, dass ich mich ausruhen
muss und meinen Chef morgen treffen, damit ich weiß, wann und wie ich in die
Arbeit zurücksoll.“
INFO orf.at http://orf.at/stories/2260751/