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Sonntag, 11. Januar 2015

ein Gesicht der Hoffnung ..."ein Mensch"



Die Geschichte von Lassana Bathily ist Balsam für die Wunden eines verängstigten, verstörten und zornigen Frankreichs: Wie erst am Wochenende nach dem Ende der Attentatsserie dreier französischer Islamisten bekanntwurde, war es der 24-jährige Muslim Bathily, der vermutlich sechs jüdischen Geiseln des Attentäters Amedy Coulibaly am Freitag das Leben rettete.

Es war der französische Nachrichtensender BFMTV, der auf die bisher unbekannte Heldentat von Bathily während der tödlichen Geiselnahme im koscheren Supermarkt bei der Porte de Vincennes in Paris stieß. Der junge Hilfsarbeiter aus Mali arbeitete laut den Berichten im hinteren Teil des Supermarkts und reagierte mit blitzschneller Geistesgegenwart, als Coulibaly am Freitagvormittag bewaffnet das Geschäft stürmte und vier Menschen tötete, woraufhin in dem Geschäft Panik ausbrach.
„Habe ihnen gesagt, dass sie ruhig sein sollen“
Wie Bathily inzwischen gegenüber mehreren französischen Medien immer und immer wieder schildern musste, rannten sechs Supermarktkunden nach Coulibalys Eindringen vor diesem davon - und in Bathilys Richtung im hinteren Teil des Geschäfts. In einem Sekundenbruchteil entschied sich der einst illegal Eingewanderte, die Flüchtenden in den - von ihm zugleich abgeschalteten - Kühlraum des Geschäfts zu lotsen, noch bevor Coulibaly sich einen Überblick über die Lage machen konnte.
Bathilys List sollte erfolgreich bleiben: Tatsächlich kam Coulibaly nicht auf die Idee, dass sich im Kühlraum weitere Menschen verbergen könnten. Laut manchen Medienberichten waren es sogar weit mehr als sechs Menschen, die sich im Kühlraum versteckten. Manche sprechen von bis zu 30 Supermarktkunden, die sich dank Bathily vor dem Attentäter verstecken konnten. „Ich habe die Kühlung ausgeschaltet, ich habe das Licht abgedreht und ihnen gesagt, dass sie ruhig sein sollten“, schilderte er die entscheidenden Augenblicke gegenüber BFMTV.


Rufe nach offizieller Ehrung
Das Verstecken der Geiseln war aus Bathilys Sicht aber nur die zweitbeste Idee. Wie er im Interview schilderte, wollte er die Geiseln zum Ausbruchsversuch überreden. Er erklärte ihnen, dass er die Notausgänge im rückwärtigen Teil des Geschäfts kenne. „Aber sie haben Angst gehabt.“ Bathily beschloss schließlich die Flucht im Alleingang: „Ich habe mich für das Risiko zu gehen entschieden. Aber wenn der andere mich gesehen hätte, wäre ich tot.“ In den inzwischen vielen Interviews nennt Bathily den Attentäter immer nur „den anderen“.
Dass Bathily den Geiselnehmer als „den anderen“ bezeichnet, ist aus der Sicht mancher ein bezeichnendes Detail: Mit all seinen Aussagen ist er über Nacht zum symbolischen Gegenpol zu den Attentätern, Radikalisierung und Islamismus geworden. In Sozialen Netzwerken greift bereits als Paraphrase auf den Slogan „Je suis Charlie“ nach dem Attentat auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ der neue Slogan „Je suis Lassana“ um sich. Rufe nach einer offiziellen Ehrung für den 24-Jährigen werden ebenso laut.
Harte Jahre als minderjähriger Flüchtling
Es geht bei Bathily außerdem nicht nur um einen Muslim, der Juden gerettet hat. Seine Lebensgeschichte steht auch für vieles, das zur Radikalisierung junger Muslime in Frankreich beigetragen hat und viele Franzosen zum Nachdenken bringt. Bathily kam im Jahr 2006 ohne offizielle Einreisebewilligung als minderjähriger Flüchtling nach Frankreich, wo sein Vater lebte. Seither ist er von seiner Mutter getrennt, die er bisher nicht aus Mali nachholen konnte.
Gegenüber dem Sender France 24 spricht Bathily ohne Verbitterung über die letzten Jahre. Es sei aber ein vierjähriger „Marsch durch die Wüste“ gewesen, zu Papieren zu kommen: „Das war sehr hart, im Hinblick auf die Arbeit, und genauso im Hinblick darauf, Eingang in die französische Gesellschaft zu finden.“ Im Moment lebt er, von einer Sozialstiftung für Migranten betreut, in einem Männerheim. Den Job in dem koscheren Supermarkt bekam er ebenfalls im Zuge des Sozialprojekts, an dem sich die jüdischen Inhaber beteiligen.
Jüdische Arbeitgeber „wie zweite Familie“
Schon seit vier Jahren arbeitet Bathily in dem koscheren Supermarkt, der am Freitag zum Schauplatz der Geiselnahme wurde. Über seine Arbeitgeber lässt er nichts kommen. Er fühle sich dort „wie ein Fisch im Wasser“, zitiert ihn France 24. „Nie hat man mir gegenüber auch nur eine Bemerkung wegen meiner Religion gemacht, das ist wie eine zweite Familie für mich geworden.“ Über Rassismus und Islamophobie will Bathily in den Interviews nicht sprechen.
Seine Hautfarbe gereichte ihm allerdings bis hin zum Polizeieinsatz am Freitag zum Nachteil: Als ihm die Flucht aus dem umstellten Geschäft gelang, wollte er sofort die Polizei mit allen nötigen Informationen versorgen. Er sei jedoch „eineinhalb Stunden in Handschellen“ gehalten worden, bevor er für die Einsatzkräfte schließlich eine genaue Zeichnung vom Inneren des Supermarkts anfertigten durfte.
„Zähle nicht darauf, dass das irgendetwas ändert“
Dass er nun als Held herumgereicht wird, macht Bathily keine Freude. Interviewanfragen lehnt er inzwischen mit dem Verweis ab, dass er nach den Ereignissen vom Freitag eigentlich noch ziemlich müde sei. Im Internet wird währenddessen dafür kampagnisiert, ihm sofort die Staatsbürgerschaft zu verleihen. Andere wollen als Zeichen des offiziellen Frankreichs sehen, dass er zum Ritter der Ehrenlegion ernannt wird.
Ein Ansuchen auf Verleihung der Staatsbürgerschaft liege schon länger bei den Behörden, sagte Bathily. „Das wird bearbeitet, ich weiß nicht, ob was wird daraus. Offen gestanden, ich zähle nicht darauf, dass das, was passiert ist, irgendetwas ändert. Wenn ich sie bekomme, würde mich das freuen.“ Ob er beim Gedenkmarsch am Sonntag teilnehmen wird, konnte er am Samstag noch nicht sagen: „Alles, was ich weiß, ist, dass ich mich ausruhen muss und meinen Chef morgen treffen, damit ich weiß, wann und wie ich in die Arbeit zurücksoll.“


INFO  orf.at  http://orf.at/stories/2260751/