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Montag, 28. Juli 2014

der "chlorreiche Krieg" - begrüßt von Dichtern und Intelektuellen



28.Juli 1914 Kriegserklärung Österreich-Ungarn
an Serbien

Es war, als hätten die Menschen auf den Krieg gewartet.
Kriegsbegeisterung - nicht nur der Generäle und der Industrie
Kriegsbegeistert: die kleinen Leute - bald schon werden sie Kanonenfutter sein, zu Millionen
Kriegsbegeistert und das wiegt viel schwerer: die Dichter, Schriftsteller und Intelektuellen

es schien nur EINE MAHNENDE STIMME zu geben:
Karl Kraus mit seiner Zeitschrift die Fackel
„Die Fackel“ war die einzige deutschsprachige Zeitschrift, die von Anfang bis Ende des Krieges gegen diesen anschrieb. Eine spannende Zusammenfassung von 
  
 Armin Sattler, ORF.at   http://orf.at/stories/2229622/2219965/ 

Wider die „kriegsbesoffene Versfußtruppe“
Als Österreich-Ungarn gemeinsam mit dem deutschen Kaiserreich im Sommer 1914 den Ersten Weltkrieg lostrat, sahen viele auch eine Lizenz zum verbalen Losschlagen. Hunderttausende verfertigten patriotische Gedichte, unterzeichneten Erklärungen und verfassten Leserbriefe. Wenige nur stimmten nicht in das Kriegsgeschrei ein, einer nur erhob seine Stimme dagegen: Karl Kraus.
Auch Dichter und Intellektuelle erlagen dem kollektiven Taumel und berauschten sich an der „großen Sache“. Hugo von Hofmannsthal bekundete eine „Freude (...), wie ich sie nie erlebt habe, ja nie für möglich gehalten hätte“, Stefan Zweig schrieb dem Krieg „etwas Großartiges, Hinreißendes“ zu, Rainer Maria Rilke spürte ein neues Gemeinschaftsgefühl: „Wir glühen in eins zusammen“ und frohlockte, „endlich ein Gott“. Und der Psychoanalytiker Sigmund Freud sagte: „Meine ganze Libido gehört Österreich-Ungarn.“

In dieser großen Zeit“

„Die, welche sterben müssen oder ihren Besitz opfern, haben das Leben und sind reich“, bemerkte Robert Musil und gliederte sich in die „Versfußtruppe einer kriegsbesoffenen deutschen Literatur“ ebenso ein wie Peter Rosegger, Alfred Kerr, Felix Salten, Anton Wildgans und Egon Friedell, aber auch Gerhart Hauptmann, Thomas Mann und Max Weber. Die meisten glaubten an einen schnellen Sieg. Kraus, der die Kriegsdauer mit zwei Jahren selbst unterschätzte, galt als Pessimist.

In der im Dezember 1914 in der „Fackel“ abgedruckten Rede „In dieser großen Zeit“ verlieh Kraus seiner Abscheu vor den verbalen Säbelrasslern Ausdruck. „Die jetzt nichts zu sagen haben, weil die Tat das Wort hat, sprechen weiter. Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!“ Die nächste „Fackel“ begann mit dem Satz: „Ich bin jetzt nur ein einfacher Zeitungsleser“ und griff erneut das „Sprachgesindel, dem der Anblick unnennbaren Grauens nicht die Zunge gelähmt, sondern flott gemacht hat“, an.

Das Versagen der Vorstellungskraft

Ohne dessen Zutun wäre „dieser Krieg der berauschten Phantasiearmut nicht entbrannt“. Wie später Günther Anders mit seiner Philosophie im Zeitalter der Atombombe erkannte Kraus das Versagen der Vorstellungskraft als den eigentlichen Grund des Krieges: „Es ist die Zeit, in der eben das geschieht, was man sich nicht vorstellen konnte, und in der geschehen muss, was man sich nicht mehr vorstellen kann, und könnte man es, es geschähe nicht.“
Die Ursache für die Vorstellungsunfähigkeit fand Kraus nicht einfach in einer kriegsverherrlichenden Propaganda, sondern in der „Verlotterung der Sprache“ selbst. Diese begriff er weder als Abstraktum noch als System, vielmehr als das wirkliche, also historische Sprechen der Zeit. An Art und Ausmaß, wie Menschen die Sprache zurichten, las er ab, wie sie zugerichtet sind und einander zurichten. Stilkritik verwandelte sich so in Ideologiekritik: „Dass einer ein Mörder ist, muss nichts gegen seinen Stil beweisen. Aber der Stil kann beweisen, dass er ein Mörder ist.“
Öffentliches Sprechen - und dabei vor allem jenes der zu „Phrase und Vorrat erstarrten“ Presse - diente Kraus als Beweis für die Deformation der Welt. Als die Katastrophe schließlich hereinbrach, bestätigte sich ihm nur, was im Sprachverfall längst offenbar war: „(Der Reporter) hat durch jahrzehntelange Übung die Menschheit auf eben jenen Stand der Phantasienot gebracht, der ihr einen Vernichtungskrieg gegen sich selbst ermöglicht.“ ...

Absatzgebiete und Schlachtfelder

Nicht allein Sprachverfall und Phrase wurden als Schuldige identifiziert, sondern auch Politik, Militär und Kapital. Die Ereignisse von 1914 bis 1918 entlarvte Kraus als einen wirtschaftlich motivierten Expansionskrieg, bei dem es darum ging, „Absatzgebiete in Schlachtfelder zu verwandeln, damit aus diesen wieder Absatzgebiete werden“, und urteilte: „Dass sich eine Menschheit, die ihre Phantasie auf die Erfindung von Gasbomben ausgegeben hat, deren Wirksamkeit am 1. August 1914 nicht vorstellen konnte, macht sie erbarmungswürdig. Dass sie aber auch von der magischen Anziehungskraft des Blutes auf das Geld keine Vorstellung hatte, macht sie verächtlich.“
„Will man wissen, wie der neue Krieg aussieht, so genügt der Blick auf das leere Schlachtfeld des anonymen Todes, auf den Kampfplatz ohne Kampf, wo der Zufall zwischen Mensch und Maschine entscheidet, und dann zurück in einen warenlosen Kommerz, das noch nie das Ding gesehen hat, von dem er lebt - eins dem anderen ein Gleichnis (...) Die Verbindung jener, die die Menschheit wie eine Ware schieben, mit jenen, die die Ware schieben“, so Kraus.


 

  copyright Armin Sattler, ORF.at   http://orf.at/stories/2229622/2219965/

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