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Samstag, 26. April 2014

morgen schon "Heilig" Johannes XXIIII

                                                                           Foto DPA
Im Vatikan galt Angelo Roncalli als naiver Bauernsohn. Dann wurde er Papst - und revolutionierte die Kirche. Am Sonntag wird er, gemeinsam mit Johannes Paul II., heiliggesprochen.  Christian Feldmann

"Johannes XXIII. Mit einer Portion heiliger Verrücktheit
Als Priesterseminarist in Bergamo hatte Angelo Roncalli noch gelobt, mit größter Vorsicht durch die Stadt zu spazieren. Er wolle die Augen „notfalls zu Boden gesenkt halten“ und sich vor leichtfertigen Blicken auf Frauen hüten. Später, als Diplomat des Vatikans in Sofia und Istanbul, führte er freilich einen intensiven Briefwechsel mit der katholischen Feministin Adelaide Coari und empfahl sie der Redaktion der wichtigen Jesuitenzeitschrift „Civiltà Cattolica“. Und als er 1958 zu Papst Johannes XXIII. geworden war, begrüßte er in seinem Rundschreiben Pacem in terris das neuerwachte Selbstbewusstsein der Frauen als Signal, dass der Geist Gottes eben doch die Entwicklung der Menschheit lenke.
Man weiß längst, dass der junge Roncalli viel lieber Kirchenhistoriker oder Landpfarrer geworden wäre und sozusagen zur Strafe in den diplomatischen Dienst abgeschoben wurde, weil er in Rom durch unvorsichtige Äußerungen - etwa zu viel Toleranz gegenüber Mischehen - aufgefallen war. Die wenig glanzvollen Posten auf dem Balkan entpuppten sich jedoch als entscheidende Stationen in der Entwicklung des späteren Konzilspapstes. In Istanbul lernte Roncalli , dass die Antwort auf eine glaubensfeindliche Umwelt nicht in der Gettobildung liegen muss, sondern auch im Dialog bestehen kann.Prägend war für ihn die Konfrontation mit dem Überlebenskampf der Juden, denen der Päpstliche Gesandte Roncalli auf erfinderische Weise zu helfen wusste. Es wird bezeugt, dass Angelo Giuseppe Roncalli mindestens 24.000 Juden mit Kleidung, Geld und gefälschten Papieren zur Flucht verhalf.

Die Kirche war kein Selbstzweck

Von einer dienenden, prophetischen Kirche träumte dieser Papst. Kirche nicht als Selbstzweck, sondern denen verpflichtet, die noch auf der Suche sind oder gar nicht wissen, was sie suchen sollen. Fast achtzigjährig erklärte Johannes mit forscher Entschlossenheit: „Die Welt bewegt sich.“ „Es ist notwendig, mit jugendlichem und vertrauensvollem Herzen den richtigen Zugang zu ihr zu finden und nicht die Zeit mit Gegenüberstellungen zu verschwenden.“ Öffnung statt Abgrenzung - das steckt hinter seiner unkomplizierten, menschenfreundlichen Umgangsart, mit der er eine unerhörte Revolution im Vatikan einleitete.

Die Anerkennung christlicher Gemeinschaften als Kirchen, das Bekenntnis zur Religionsfreiheit, die neue Hochachtung anderen Religionen gegenüber, die Anerkennung eigenständiger Laienaktivitäten, die Solidarität mit den Problemen einer weithin säkularisierten Welt sind Früchte des Zweiten Vatikanischen Konzils, das er in zähem Ringen durchsetzte. Geblieben ist seine Ermunterung, die sozialen Probleme anzupacken, geblieben ist sein leidenschaftlicher Protest gegen atomare Hochrüstung und gegen Krieg als Mittel der Politik.
Geblieben ist auch ein Hauch von Anarchie, der seit dem lombardischen Bauernsohn durch die Korridore des Vatikans weht und der noch die Amtsführung seines späten Nachfolgers Wojtyła aus Krakau beeinflusste - und natürlich die provokanten Auftritte des Argentiniers Bergoglio, in dem manche eine Reinkarnation des Roncalli-Papstes erblicken: Ohne eine Portion „heiliger Verrücktheit“ könne die Kirche nicht wachsen, gab er seinen Kritikern zu bedenken. Als junger Bischofssekretär in Bergamo hatte er Hilfsgelder für streikende Hüttenarbeiter organisiert und Suppenküchen eingerichtet. Als Patriarch von Venedig ließ er den Nichtkatholiken Strawinsky ein Oratorium mit Zwölftonklängen im Markusdom uraufführen und plauderte auf den Steinstufen des Canal Grande mit den Gondolieri.

Ausflüge ohne Eskorte

Unangemeldet steckte er den Kopf in die vatikanischen Werkstätten, setzte die Gehälter der Angestellten herauf, machte ohne Polizeieskorte Ausflüge in Rom, ließ sich von dem aus der Kirche ausgetretenen, geschiedenen, linken Bildhauer Giacomo Manzù porträtieren. Er versuchte, Laisierungen unglücklicher Priester zu erleichtern, und nahm in seiner berühmt gewordenen Ansprache zur Konzilseröffnung am 11. Oktober 1962 die Gegner in der Kurie aufs Korn: Jeden Tag, sagte der Papst, werde sein Ohr von Stimmen verletzt, „die zwar vor religiösem Eifer brennen, aber nicht in gleicher Weise mit Takt und Urteilsvermögen begabt sind“. Sie klagten ständig darüber, dass die Gegenwart viel schlechter sei als frühere Zeiten. „Wir aber müssen diesen Unglückspropheten entschieden widersprechen“, „die immer nur Unheil vorhersagen, als stünde das Ende der Welt bevor“. Auch über die Ursachen der Kirchenspaltung ließ er unerhörte Einschätzungen verlauten: „Zum großen Teil ist es unsere Schuld.“